Die AfD und ihre Membran der Gewalt
Neue Recherche über die AfD und Gewalt - und was das für uns bedeutet.
Hallo und herzlich Willkommen zur neuen Folge Adé AfD,
hier geht es heute um das Thema Gewalt. Laut einer Correctiv-Recherche duldet die AfD in ihren Reihen Mandatsträger_innen, die mit verbaler, körperlicher, oder indirekter Gewalt aufgefallen sind. Darunter sollen mehrere Landtags- und Bundestagsabgeordnete sein.
➡️ Wir schauen uns genauer an, was die Recherche sagt und ob uns diese Erkenntnisse in einer Diskussion mit AfD-Anhänger_innen als Gegenargument helfen.
👋 Bevor wir loslegen: Eine Auswahl relevanter Artikel und Insights zum TV-Duell zwischen dem CDU-Landesparteivorsitzenden von Thüringen, Mario Voigt und Björn Höcke, dem Landesvorsitzenden der Thüringer AfD aus der vergangenen Woche:
Wie deutet man das Duell? Eine Antwort-Übersicht über die Frage, wem das TV-Duell genützt hat, ob “die Brandmauer eingerissen oder Höcke demaskiert” wurde, findet ihr in dieser Übersicht vom ZDF - oder in diesem MDR-Artikel, in dem mit vier wissenschaftliche Expert_innen diskutieren, wie schwierig eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten ist.
Welche Sprachtricks kamen vor? Welche populistischen Sprachstrategien in diesem Duell zu finden waren - und wie wir sie deuten können: Das verrät euch diese Folge des Newsletters “Wie Rechte reden” (den ich sowieso sehr empfehlen kann).
Welche Fakten stimmen? Auch im Duell wurde mit falschen Aussagen um sich geworfen. Spannend: Wie Björn Höcke dem Begriff “Remigration” eine neue Definition geben wollte.
Aussage von Björn Höcke im Duell: “Dann brauchen wir eine Remigrationsinitiative… Mir geht es vor allen Dingen um die deutschen Staatsangehörigen, die im Ausland leben, weil sie aus Deutschland geflohen sind… Das ist eigentlich eine alte Definition von mir.” Ergebnis des Faktenchecks auf Spiegel Online: “Seine Behauptung, er definiere »Remigration« schon lange so, hält einer Prüfung nicht stand. Im Gegenteil besetzt er ihn immer wieder eindeutig in der bekannten Weise.”
Für mehr Faktenchecks zu den Duell-Aussagen über Meinungsfreiheit, steigenden Energiepreisen und das deutsche Sozialsystem werden ihr u.A. auf Spiegel Online fündig.
Und jetzt zu unserem Hauptthema:
Was ist passiert?
➡️ Correctiv-Recherchen zufolge sollen mindestens elf AfD-Mandatsträger verurteilte Gewalttäter sein:
Drei Politiker wurden demnach wegen Waffenbesitzes oder Amtsmissbrauchs verurteilt.
Gegen fünf weitere Mandatsträger der Partei werde gegenwärtig wegen Gewalttaten ermittelt.
Im Bericht heißt es: “Die meisten Urteile ergingen in den vergangenen zwei Jahren – die AfD scheint die verurteilten Täterinnen und Täter in ihren Reihen zu dulden.” (Quelle: Correctiv)
➡️ Was ist mit Gewalt gemeint?
“Bei den Fällen geht es teils um brutale körperliche Angriffe, teils verbale Gewalt wie Beleidigungen oder Volksverhetzung und indirekte Gewalt wie Beihilfe, Waffenbesitz oder Missbrauch des Gewaltmonopols qua Amt. Juristisch gesehen handelt es sich dabei meist um „Vergehen“.” (Quelle: Correctiv)
➡️ Dürfen Strafttäter_innen in ein Amt gewählt werden?
Nicht wählbar sind “(...) laut Strafgesetzbuch nur solche Personen, die sich eines „Verbrechens“ schuldig machen. Das sind per Definition alle Straftaten ab schwerer Körperverletzung, sexuellem Missbrauch, Totschlag, Raub oder Meineid.” (Quelle: Correctiv)
Ausnahmen sind “(...)Gewalttaten, die als „Vergehen“ gelten.” Laut Strafgesetzbuch §12 handelt es sich dabei um "rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind".
“Politische Amtsträgerinnen und -träger, die vor oder während ihres Mandats mit Gewalttaten aufgefallen sind, die lediglich als Vergehen gelten und somit nicht direkt zu Freiheitsstrafen führen, dürfen ihre Ämter aus rein rechtlicher Sicht behalten.” (Quelle: Correctiv)
➡️ Einige Beispiele der von Correctiv recherchierte “Vergehen”:
“(...)Fälle, in denen gewählte AfD-Politiker Menschen in den Bauch traten, Ersthelfer mit Reizgas besprühten, Demonstranten mit dem Auto anfuhren, Waffen mit sich führten, zum gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung aufriefen oder Frauen einen „Hatefuck“ androhten, also gewaltvolle sexuelle Handlungen.” (Quelle: Correctiv)
➡️ Wie sieht es bei anderen Parteien aus?
Der Correctiv-Bericht sagt:
“Abgeordnete und Mandatsträgerinnen und -träger, die verurteilt sind oder gegen die Strafverfahren laufen, gibt es auch in anderen Parteien, in den Volksparteien ebenso wie in den kleineren. Auffällig ist jedoch: Keine andere im Bundestag vertretene Partei fällt in annähernd ähnlichem Umfang wegen Gewalttaten auf.”
“Zu den häufigsten Gründen, warum Mandatsträgerinnen und -träger verschiedener Parteien verurteilt wurden, gehören Delikte wie Steuerhinterziehung, Betrug, Veruntreuung oder Korruption. Für den Zeitraum der letzten 15 Jahre haben wir hier (bezogen auf den gesamten Bereich dieser finanziellen Straftaten) wenige Dutzend Fälle recherchieren können.”
“Im direkten Vergleich mit anderen Parteien konnte CORRECTIV weder bei Linken oder Grünen noch bei CDU/CSU, SPD oder FDP Ähnliches ausmachen.”
Welche Rolle spielt Gewalt bei der AfD und ihren Anhänger_innen?
👉 Zunehmende Gewaltbereitschaft bei AfD-Funktionär_innen: Das zeigte 2023 eine Auswertung der im VBRG e. V. zusammengeschlossenen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt:
“Insbesondere Kommunalpolitiker*innen der Partei griffen laut VBRG verstärkt Bürger*innen an, die sie als politische Gegner*innen sehen – teilweise sogar mit Waffengewalt.” https://verband-brg.de/analyse-zunehmende-gewaltbereitschaft-bei-funktionaerinnen-der-afd/
👉 20% der AfD-Anhänger_innen zeigen Gewaltbereitschaft: Das ergab eine Studie der Universität Leipzig in 2018. Jeder fünfte AfD-Anhänger sei bereit zur Anwendung körperlicher Gewalt, um eigene Interessen durchzusetzen.
👉 Offiziell lehnt die AfD Gewalt ab: Was wirklich dahinter steckt erklärt der Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer im SZ-Interview:
“Die AfD will sich als Rechtsstaatspartei darstellen, aber sie ist über die gemeinsame Ideologie mit dem systemfeindlichen rechtsextremen Milieu verbunden, das mit Gewalt hantiert. Deshalb muss der Blick ausgeweitet werden auf rechte Bedrohungsallianzen.”
“Die AfD hat in diesen Bedrohungsallianzen eine zentrale Rolle, sie hantiert mit einer Gewaltmembran. Eine Membran hat etwas Trennendes: Prominente Akteure der AfD rufen nicht selbst zur Gewalt auf. Aber eine Membran ist auch durchlässig. Die AfD trägt zur Legitimation von Gewaltakten bei, indem aufheizend mit Begriffen wie "Umvolkung" oder "Bevölkerungsaustausch" gearbeitet wird.”
Helfen mir solche Informationen in Diskussionen über die AfD?
👉 Wir sollten uns bewusst machen: Die Strategie der AfD, der Rechtsextremen zielt nicht (nur) darauf ab, den gesellschaftlichen Diskurs, sondern unsere gesamte Konfliktbearbeitung zu verändern. Dieses Vorgehen beschreibt Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer im (sehr eindrücklichen, sehr empfehlenswerten) SZ-Interview:
“Es geht nicht nur um die Diskursverschiebung, also die Ausweitung des Sagbaren und die Umdeutung von Begriffen wie "Remigration", sondern auch um die Verschiebung des Modus zur Konfliktbearbeitung. Das wird in meinen Augen bislang völlig unterschätzt.”
“In der Bundesrepublik wurden Konflikte bisher in der Regel mit Verständigungslogiken bearbeitet, etwa in Tarifauseinandersetzungen. Bei allen Interessensgegensätzen gab es immer eine Konsensorientierung. Mit dem Aufstieg der AfD verschiebt sich das zu einem ganz anderen Konflikttypus: Kompromissbereitschaft wird ersetzt durch Entweder-oder-Konflikte.”
“Diese Konfliktlogik des Entweder-oder ist stark gewaltanfällig und arbeitet auf Dauer an der Zerstörung der Grundlagen der Demokratie.”
👉 Diskussionen über die AfD und deren Strategie sind also weiterhin und überall relevant, um diesem Ziel entgegenzutreten und sich für die Demokratie einzusetzen. Dabei helfen der Correctiv-Bericht sowie die Untersuchungen rund um das Thema Gewaltbereitschaft: Sie entkräften und entzaubern das Narrativ einer “rechtstaatlichen Partei” und zeigen die Grauzonen und die Überschreitung roter, demokratischer, verfassungstreuer Linien auf, die bereits existieren und gleichzeitig verschleiert werden.
Man kann diese Recherche zum Beispiel - neben Gesprächen mit Gleichgesinnten, die auf der Suche nach neuen Fakten und Erkenntnissen sind, - theoretisch - verwenden für:
Diskussionen mit noch-nicht-Überzeugten, oder mit denjenigen, die nur ganz bestimmte Parteiaussagen der AfD unterstützen oder interessant finden. Zum Beispiel: Christ_innen, die in der vorgeblichen Strenge zum Thema Abtreibung der AfD (siehe dazu auch diese Newsletter-Folge) eine inhaltliche Nähe sehen - aber aufgrund der eigenen christlichen Überzeugung eigentlich eine offen zur Schau getragene Gewaltbereitschaft nicht als Lösung sehen können.
Warum theoretisch? Für alle Diskussionen mit Sympathisant_innen, und sei es auch nur im Kleinen oder in Teilbereichen, gilt der Hinweis: Fakten gewinnen nicht gegen gefühlte Wahrheiten (siehe hierzu auch weiter unten).
👉 Wichtig: Wir können mit solchen Zahlen und Berichten keine AfD-Anhänger_innen und Überzeugte “zurückzuholen”. Denn:
1️⃣ Radikale Gruppen und Parteien eint: Das Narrativ, dass “wir alle” jetzt im Moment in einer Notfall- und Untergangssituation leben.
“Der Weltuntergang – ob politisch oder spirituell – steht angeblich kurz bevor. Jede Ideologie geht mit diesem vermeintlichen Kollaps anders um: Esoterische Sekten z.B. ziehen ihren Anhängern Geld aus der Tasche, um mit „Heilmethoden“ die Apokalypse gaanz knapp abzuwenden. Im rechten Milieu aber geht es nicht mal mehr zum Schein darum, irgendetwas in der Welt besser zu machen. Ganz im Gegenteil. Der Bruch von Regeln wird hier als Heldentat geframed: Wenn der Laden eh bald brennt, kann man ihn vorher noch bis aufs Letzte ausbeuten … “(Quelle: Dana Buchzik, Instagram)
“Insbesondere Herr Höcke verbindet mit diesem Vokabular (Anmerkung der Autorin: Begriffe wie "Umvolkung" oder "Bevölkerungsaustausch") immer wieder den drohenden Untergang des deutschen Volkes, der deutschen Kultur und Identität. Die apokalyptische Rhetorik legitimiert ein Notwehrrecht: Wer vom Untergang bedroht ist, darf sich wehren - auch mit Gewalt. Das übernehmen dann die Akteure aus dem klassischen rechtsextremen Milieu.” (Quelle: Wilhelm Heitmeyer in der SZ)
2️⃣ Wir wollen das hören und lesen, was zu unseren Überzeugungen passt:
Wir Menschen sind psychologisch darauf gepolt, Informationen, die nicht zu unseren Überzeugungen passen als Störfaktoren zu empfinden – und abzulehnen. Das nennt man »kognitive Dissonanz«.
Außerdem: “Wenn wir eine starke Überzeugung haben – z.B., dass nur AfD-Politiker unsere Nöte verstehen könnten – dann hören und lesen wir auch nur das, was zu dieser Überzeugung passt. Psychologische Studien zeigen seit den 1970er Jahren, dass unser Gehirn selbst Informationen, die unsere Ansichten eindeutig widerlegen, als Bestätigung umdeklariert. Gegen gefühlte Wahrheiten können wir nicht mit Fakten gewinnen.“ (Quelle: Dana Buchzik, Instagram)
Das war’s für heute - ich wünsche euch einen ausgeschlafenen und informierten Start in die Woche,
Franzi
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