Landtagswahl-Spezial: Was hat die AfD vor & was kommt nach den Wahlen?
Alle Infos zu den Wahlen // Interview mit AfD-Expertin Ann-Katrin Müller
Hallo und herzlich Willkommen zur neuen Folge Adé AfD,
am Sonntag sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, Brandenburg folgt am 22. September. Natürlich können nicht alle von uns bei diesen Landtagswahlen selbst zur Wahl gehen - aber die Ergebnisse sind für uns alle bedeutsam, ebenso wie das Verständnis für die politische Situation vor Ort:
Wie ist die AfD in diesen Bundesländern ideologisch und politisch aufgestellt?
Welche Rolle spielen andere Parteien wie die CDU oder das Bündnis Sarah Wagenknecht?
Prägt der Anschlag von Solingen den Wahlkampf und damit potentiell die Wahlergebnisse?
Und genau das habe ich eine versierte AfD-Kennerin gefragt: Ann-Katrin Müller ist Politik-Journalistin beim SPIEGEL und berichtet seit Jahren über die AfD und Rechtsextremismus. Sie hat außerdem ein sehr spannendes Buch über Geheimagentinnen und wie sie die deutsche Geschichte geprägt haben, geschrieben, das ich euch sehr ans Herz lege.
Ich übergebe an Ann-Katrin:
Was macht diese Landtagswahlen anders?
Die AfD könnte bei diesen Landtagswahlen stärkste Kraft werden und den Anspruch erheben, den Ministerpräsidenten zu stellen. Dabei will Stand heute keine Partei mit ihr koalieren. Das ist aus meiner Sicht absolut richtig, da die AfD dort rechtsextrem ist und die Demokratie attackiert.
Die AfD versucht allerdings, diese Wahlen als Beginn einer umfassenden politischen Wende in ganz Deutschland zu inszenieren, quasi als ersten Dominostein, der eine Kettenreaktion auslösen soll. Und geht deswegen in die Vollen, behauptet, die Bundesrepublik sei “diktatorisch”, was wirklich absurd ist, aber ihre Wähler offenkundig glauben.
Die anderen Parteien müssen also gut begründen, warum sie der AfD nicht zugestehen wollen, den Ministerpräsidenten zu stellen, auch wenn sie stärkste Kraft wird. Doch man merkt schon jetzt, dass den Parteien zunehmend schwerfällt, die Brandmauer aufrecht zu erhalten.
Prägt der Anschlag in Solingen die Landtagswahlen?
Ich habe den Eindruck, dass er gar nicht einen so großen Einfluss auf die Wahlen hat, wie es viele in der Bundespolitik und in Medien denken. Denn diejenigen, die ernsthaft glauben, dass Abschiebungen Terroranschläge wie in Solingen verhindern könnten, sind sicher jetzt schon Wähler_innen der AfD.
Man merkt aber, wie groß die Sorge bei den anderen Parteien ist - und dass sie damit den Rechtsextremen helfen, weil sie Sachen fordern, die zum Teil gar nicht rechtsstaatlich umsetzbar sind oder zum Teil sogar Rassismus verbreiten.
Wie nutzt die AfD den Anschlag für sich?
Sie versucht mal wieder, Wut in Wählerstimmen umzumünzen und Hass zu säen. Ihre Funktionäre in Thüringen, Sachsen und Brandenburg behaupten allerdings schon lange, dass man “Zustände wie in Westdeutschland” verhindern wolle, indem man Asylbewerber ablehnen und in ihre Herkunftsländer schicken will. Insofern ist die Wählerschaft in dem Bereich vermutlich schon abgegrast.
Das merkt man auch daran, dass AfD-Anhänger diese Erzählungen direkt aufgegriffen haben. Und sogar schreiben, dass bestimmte Politiker_innen “mitgestochen” hätten, weil sie sich für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen. Auch über mich wurde das schon geschrieben, von einem Medienaktivisten aus dem Umfeld der AfD.
Ist die AfD in den Bundesländern im Osten überall gleich radikal?
Erstmal möchte ich sagen: es gibt nicht „den Osten“, sondern Besonderheiten in den jeweiligen Ländern. Die AfD in den Ost-Bundesländern weist allerdings viele Ähnlichkeiten auf, ist sich inhaltlich sehr nah. Eine Ausnahme: die AfD in Mecklenburg-Vorpommern war in den ersten Jahren weniger völkisch, inzwischen hat sich diese aber den anderen Landesverbänden angenähert, hat die alten Lagergrenzen überwunden.
Was meinst du mit alten Lagergrenzen?
Früher gab es in der Partei zwei ideologische Lager, das eine war neoliberal und populistisch, das andere in der Sprache und den Forderungen von Anfang an völkisch und rechtsextrem. Inzwischen hat sich das gewandelt, das weniger radikale Lager existiert kaum mehr, die “Gemäßigteren” haben die Partei verlassen, die Völkischen haben sich inhaltlich wie sprachlich durchgesetzt, ihre Ideologie steht im Zentrum der AfD. Das haben Björn Höcke und seine Getreuen geschafft.
Sachsen: Wie ist die AfD hier aufgestellt?
Die AfD in Sachsen ist meines Erachtens genauso extremistisch wie der Höcke-Landesverband in Thüringen: Sie will Menschen mit Migrationshintergrund massenhaft ausweisen und nutzt den rechtsextremen Kampfbegriff “Remigration” dafür, sie will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk faktisch abschaffen und ein Baby-Begrüßungsgeld für Menschen einführen, die nur die deutsche Staatsangehörigkeit haben.
Der Landesvorsitzende Jörg Urban wirkt allerdings durch seine Art etwas harmloser, nicht so demagogisch wie Höcke - was die Radikalität der AfD dort etwas weniger sichtbar macht. Auch, dass es da die noch aggressiver auftretenden “Freien Sachsen” gibt, lässt die AfD weniger schlimm erscheinen. Außerdem profitiert die Partei davon, dass Rechtsextremismus in Sachsen lange kleingeredet wurde, leider ausgerechnet von dem CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der nach der Wende als erster dort regierte.
Wie könnte die politische Lage in Sachsen nach den Wahlen aussehen?
In Sachsen steht der aktuelle CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer in den Umfragen noch gut da, eine Koalition ohne AfD sollte klappen. Allerdings könnte es sein, dass dies nur mit dem “Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW) klappt, was wieder neue Probleme und extreme Kompromisse produziert - während sich die AfD dann als einzige Oppositionspartei inszenieren kann.
Welche Rolle spielt die AfD in Thüringen?
In Thüringen schaut jeder doppelt hin wegen Höcke, was ich einerseits wichtig finde, damit man versteht, was dort passieren könnte. Doch es ist falsch zu denken, nur Höcke sei der einzige und schlimmste Rechtsextremist in der AfD – es gibt viele mit seiner Ideologie in der Partei.
Wie könnte die politische Lage in Thüringen nach den Wahlen aussehen?
Die besondere Lage in Thüringen ist, dass die Linkspartei, die aktuell regiert, schlecht dasteht, während ihr Ministerpräsident Bodo Ramelow laut Umfragen sofort wiedergewählt würde in das Amt, deutlich vor den anderen Kandidaten. Das BSW zieht allerdings von seiner Partei und anderen linken Parteien Wähler_innen - und nicht wirklich von der AfD, wie sie anfangs behauptet hatten.
Und während Mario Vogt von der CDU auch nicht gut genug dasteht, um klarer Ministerpräsidentschaftskandidat zu sein, profitiert Höcke davon, dass die anderen Parteien keine einheitliche Strategie im Umgang mit der AfD haben. Das gibt ihm Raum, sich als echte Option zu inszenieren, obwohl auch in Thüringen niemand mit der AfD koalieren will.
Am Beispiel Thüringen: Was könnte denn die AfD auf Landesebene politisch umsetzen?
Das käme natürlich auf die Konstellation an. Um es deutlich zu machen, tun wir mal eben so, als hätten sie eine absolute Mehrheit: Höcke sagt, er will die Bundesregierung wegen der Migrationspolitik verklagen, was er als Ministerpräsident über den Bundesrat tatsächlich tun könnte.
Im Programm steht zudem, dass man Abschiebeflüge aus Thüringen organisieren will und das Leben von Flüchtlingen so hart wie möglich machen will: sie sollen in Gemeinschaftsunterkünften mit gesenktem Standard verbleiben, gar kein Bargeld bekommen und nicht mal mehr eine ordentliche Gesundheitsversorgung bekommen. Nur noch “akute Erkrankungen und Schmerzzustände” sollen behandelt werden.
In der Klimapolitik plant die AfD, den Bau von Windrädern zu erschweren, Atomkraftwerke wieder zu bauen.
Im Bildungsbereich will sie Lehrpläne und Lehrbücher stark beeinflussen, dort beispielsweise nur noch das traditionelle Familienbild vermitteln und mit dem Sexualkundeunterricht erst in der Pubertät anfangen.
Brandenburg: Wie ist die AfD hier aufgestellt?
In Brandenburg orientiert sich die AfD ideologisch sehr eng an dem, was ein Götz Kubitschek, der rechtsextreme Verleger und Freund von Björn Höcke, sagt, macht und denkt. Es gibt enge Verbindungen zu ihm aus dem Landesverband. Die AfD Brandenburg ist genauso rechtsextrem und völkisch wie die AfD in Thüringen und Sachsen, sie ist nur nicht offiziell vom Verfassungsschutz so eingestuft. Ich vermute aber, dass das demnächst passieren wird.
Wie könnte die politische Lage in Brandenburg nach den Wahlen aussehen?
Politisch haben wir in Brandenburg die Lage, dass die AfD zwar auch hier stärkste Kraft zu werden scheint, es aber am Ende mehr Koalitionsoptionen ohne die Partei geben dürfte als in Thüringen und Sachsen. Das liegt auch daran, dass die SPD dort sehr viel stärker ist als in den beiden anderen Ländern, bislang dort mit Dietmar Woidke den Ministerpräsidenten stellt, daraus offenbar Kraft zieht. Die Lage ist hier insgesamt also weniger kritisch als in Thüringen oder Sachsen, weshalb das Bundesland vielleicht nicht so mediale Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Aber: Auch hier schafft es die AfD immer wieder, die Regierung vor sich her zu treiben, angeführt von einem Landesvorsitzenden, der auf den ersten Blick vielleicht harmlos wirkt - aber völkische und rechtsextreme Ideologie vertritt. Interessant wird, wie die CDU reagiert, die meiner Einschätzung nach hier weniger populistisch auftritt als in den anderen beiden Bundesländern.
Welchen Einfluss hätte die AfD in Brandenburg potentiell?
Was wir bei der AfD und hohen Wahlergebnissen bedenken müssen: Eine bestimmte Prozentzahl an Stimmen bedeutet, dass man die sogenannte Sperrminorität erreicht. Man könnte also gerade in entscheidenden Fragen, für die man eine Zweidrittelmehrheit braucht, blockieren.
Es geht um so elementare Dinge wie die Wahl von Verfassungsrichtern oder den Richterwahlausschuss. Damit könnte die AfD erpressen, dass auch ihre Kandidaten eine Mehrheit bekommen - weil sie sonst einfach niemandem zustimmt.
Das droht in allen Bundesländern. Für Brandenburg kommt hinzu, dass es gar nicht bis zu 33 Prozent sein müssten, sondern je nach Wahlausgang 26,5 Prozent der Stimmen reichen könnten, um Abstimmungen zu blockieren. So hat es zumindest eine Stiftung berechnet.
Welche Rolle spielt das BSW für die Landtagswahlen?
Das BSW ist ja eigentlich losgezogen mit dem Ziel, der AfD Wählerinnen und Wähler wegzunehmen. Aber man kann deutlich sehen, dass das nicht funktioniert hat – die AfD ist fast so stark wie zuvor.
Stattdessen trägt das BSW zur Zersplitterung des Parteiensystems bei und verstärkt den Populismus im Diskurs. Seine Vertreter_innen agieren populistisch, insbesondere gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Und sie behaupten, es gebe keine Meinungsfreiheit mehr in Deutschland, dabei hat sich der Korridor des Sagbaren deutlich wieder ausgeweitet.
Das wirklich Schlimme aber ist, dass man nicht weiß, wie weit das BSW gehen wird bei der Zusammenarbeit mit der AfD – das wird sich vermutlich auch erst nach der Wahl zeigen.
Welche Rolle hat die CDU in den Landtagswahlen?
Die CDU ist die Partei, die dafür Sorge tragen kann, dass die Demokratie stabil bleibt. Indem sie sich zum Beispiel in den Kommunen nicht von der AfD drängen lässt, sondern selbst Probleme erkennt und mit demokratischen Mitteln und Parteien löst.
Es ist erschreckend, dass die CDU zunehmend diese Funktion des Schutzschildes verliert und aus Angst vor der AfD sich selbst dem Populismus mehr und mehr hingibt. Dabei macht sie sich damit mittelfristig selbst kaputt, da muss man nur nach Frankreich oder Italien gucken, was mit den konservativen Parteien dort passiert ist, wenn sie zu sehr nach rechts blinken.
Könnte die AfD auf Landesebene überhaupt regieren?
Stand jetzt nicht. Die AfD weiß auch selbst, dass sie zu wenig qualifiziertes Personal hat, um alle Posten in Behörden zu besetzen, die sie dann bekäme. Es fehlen ihnen erfahrene Mitarbeitende, selbst für die parlamentarische Arbeit. Intern räumen sie das auch ein, dass sie noch gar nicht bereit wären.
Interessanterweise versuchen sie jetzt schon vorzubeugen, reden öffentlich davon, wie lange es dauern würde, die Politik der anderen Parteien “zurückzudrehen”. Ihre Versprechen sind auch einfach nicht finanzierbar, was sie durch pauschale Aussagen wie "wir sparen beim Thema Migration" zu überspielen versuchen.
Ich sage großes Danke an Ann-Katrin!
Zum Schluß noch drei Tipps zu den Landtagswahlen:
🗳️ AfD-Wahlprogramme: Wer sich nochmal inhaltlich mit den AfD-Wahlprogrammen beschäftigen möchte, dem empfehle ich zu Thüringen die Analysen des Newsletters “Wie Rechte reden”.
🗳️ Was ist taktisches Wählen: Wie muss ich wählen, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern? Im Podcast “Politik mit Anne Will” geht es um taktisches Wählen. Ein Thema, das wir uns vielleicht nicht nur für die Landtagswahlen anschauen sollten.
🗳️ Frauen machen den Unterschied, auch bei Wahlen: In Sachsen hat sich dafür die Initiative SäxStreik gebildet. Ihr Anliegen: Dass Sachsens Frauen wählen gehen. Denn bei der vergangenen Wahl tat dies nicht mal jede Zweite. Für alle, die sich mit der Rolle von wahlberechtigten Frauen beschäftigen möchten, bitte hier entlang.
Das war’s für heute - ich wünsche euch ein erholsames Wochenende, denjenigen die wählen gehen einen friedlichen Wahlsonntag und wir lesen uns nächste Woche wieder hier.
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Strategien zur Positionierung und im Umgang mit gesellschaftspolitischen Themen: Ich entwickle politische Kommunikation für Führungskräfte in Unternehmen, Verbänden, NGOs (z.B. zu Themen wie Rechtsextremismus oder Bundestagswahl 2025).
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Kommunikation & KI: Einsatz in politischer Kommunikation (z.B. in Pressestellen, im Wahlkampf), gegen Desinformation, Hatespeech & die AfD.
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🎉 Womit ihr mir übrigens eine ganz besondere Freude macht: Wenn ihr Menschen kennt, die auch alle Infos, Tipps, Argument und Ideen haben wollen, um zu verhindern, dass Rechtsextreme an die Macht kommen: Leitet ihnen gerne diesen Newsletter weiter.