Thüringen in Gefahr? So könnte man das Land vor der AfD schützen.
Und: Was ist der "Feel-Good-Rechtsextremismus" der Thüringer AfD?
Hallo und herzlich Willkommen zur neuen Folge Adé AfD,
heute geht es um den Wahlkampf der AfD - und zwar in Thüringen. Am 1. September finden dort Landtagswahlen statt. In aktuellen Umfragen liegt die AfD vor der CDU und auch vor den Parteien der rot-rot-grünen Minderheitsregierung. Ein Einfluss der AfD in dem Bundesland ist - auch wenn sie nicht in Regierungsmacht kommt - möglich. Warum? Wenn wir besser verstehen wollen, was in Thüringen vor der Landtagswahl gerade passiert - und was danach folgen könnte -, müssen wir uns das Bundesland, dessen Rechts- und Verfassungsordnung und die dortige AfD genauer anschauen:
Eine Besonderheit der Thüringer Verfassung könnte einen AfD-Ministerpräsidenten möglich machen: Stimmt das wirklich?
Es gäbe (juristische) Möglichkeiten, die Demokratie in Thüringen zu stärken: Werden sie genutzt?
Setzt die Wahlkampagne der Thüringer AfD auf sog. “Feel good Rechtsextremismus” und ist das eine neue Stufe der Verharmlosung?
Legen wir los:
⚡ Warum heißt es, die AfD könnte in Thüringen den Ministerpräsidenten stellen?
Der Ministerpräsident wird vom Landtag gewählt und muss laut Thüringer Verfassung im ersten und zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit erreichen. Im dritten Wahlgang genügt eine relative Mehrheit, das heißt, der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt. (Mehr dazu lest ihr auch hier oder hier)
Wenn die anderen Parteien keinen gemeinsamen Kandidaten finden, der mehr Stimmen als die AfD-Kandidaten erhält, könnte die AfD mit ihrer Parlamentsmehrheit einen eigenen Ministerpräsidenten wählen. Aktuell schließen die anderen Parteien eine Koalition mit der AfD aus.
Das ist übrigens nicht in allen Bundesländern so. In einigen anderen Ländern wird der Landtag, wenn sich dieser nicht auf eine_n Ministerpräsident_in einigen kann, aufgelöst - und die Wähler_innen müssen neu entscheiden.
⚡ Welchen Einfluss hätte die AfD als potentiell stärkste Fraktion in einem Bundesland?
Auch ohne Regierungsbeteiligung kann eine Partei in einem Bundesland erheblichen Einfluss haben. Eine als rechtsextrem eingestufte Partei könnte staatliche Instrumente nutzen, um demokratische Institutionen von innen heraus zu untergraben.
➡️ Zwei konkrete Beispiele, wie das ginge:
Die Sperrminorität: Abhängig vom Wahlergebnis könnte die AfD ein Drittel der Abgeordneten stellen und somit eine Sperrminorität bilden. Damit könnte sie Abstimmungen blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern. Dazu gehören z Bsp.: Verfassungsänderungen, die Auflösung des Landtags oder die Ernennung von Rechnungshofpräsident_innen und Verfassungsrichter_innen.
Der/die Landtagspräsident_in: Die stärkste Fraktion nominiert traditionell den Landtagspräsidenten oder die Landtagspräsidentin, die normalerweise auch gewählt werden. Diese Person leitet die Landtagssitzungen, hat Hausrecht im Landtag, verfügt über die Personalhoheit der Landtagsverwaltung und führt die Wahl der/des Ministerpräsident_in.
“Die Personalhoheit ist ein großes Thema, weil die Landtagsverwaltung dafür da ist, allen Abgeordneten zu ermöglichen, dass sie ihre Arbeit machen können. Das fängt bei der IT an, bei der Frage, wer liest eigentlich meine Emails mit und endet bei dem wissenschaftlichen Dienst, die die Abgeordneten mit dem nötigen Wissen ausstatten, damit sie zum Beispiel die Regierung kontrollieren können. Wenn man sich darauf nicht mehr verlassen kann, wenn das so eingetuned ist, dass bestimmte Parteien davon profitieren und Andere nicht, dann kippt da richtig was in der parlamentarischen Demokratie.” Verfassungsrechtler Maximilian Steinbeis im DLF-Interview.
➡️ Kann der Landtag nicht einfach die Wahl eines AfD-Kandidaten verweigern?
Das Problem: Die AfD würde das ebenfalls für sich ausnutzen. Verfassungsrechtler Steinbeis beschreibt die Situation so:
“Das ist ja immer dieser double bind, vor dem man da steht. Wie man es macht, macht man es falsch. Wenn man der AfD, oder der autoritär populistische Partei generell, ihren Willen tut, gewinnt sie, wenn man ihn ihr nicht tut, dann gewinnt sie auch, weil man damit diese Erzählung füttert, dass das System sich dazu verschworen hat, das “wahre Volk” von der Macht fernzuhalten.” (Quelle: DLF-Interview )
⚡ Kann man die Demokratie und Verfassung dann überhaupt schützen?
Ein Team um den Verfassungsrechtler Maximilian Steinbeis untersuchte am Beispiel Thüringen, was passiert, wenn autoritär-populistische Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen. Lässt sich eine Demokratie mit demokratischen Mitteln abschaffen? An der Forschung unter dem Titel „Thüringen-Projekt“ war ein Team von Fachleuten beteiligt. Bereits im April veröffentlichten sie konkrete Vorschläge zum besseren Schutz der Demokratie.
➡️ Vier davon findet ihr hier:
Die Sperrminorität: Zur Ernennung von Richter_innen fürs Verfassungsgericht braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Das könnte die AfD mit einer Sperrminorität verhindern.
Die Empfehlung: Um die Arbeitsfähigkeit des Gerichts sicherzustellen, sollte notfalls der Verfassungsgerichtshof in Weimar selbst seine neuen Mitglieder vorschlagen - und das Parlament diese auch mit einfacher Mehrheit wählen dürfen. Amtszeiten sollten in der Verfassung verankert werden. (Quelle: Sueddeutsche Zeitung)
Der/die Landtagspräsident_in: Das Vorschlagsrecht für den oder die Kandidat_in hat traditionell die stärkste Fraktion.
Die Empfehlung: Die Geschäftsordnung des Landtags sollte geändert werden. "Alle Fraktionen" sollten Kandidaten vorschlagen dürfen. (Quelle: Sueddeutsche Zeitung)
Geheime Wahl des Ministerpräsidenten: Der oder die Ministerpräsident_in wird derzeit geheim gewählt. Ein Blick auf 2020 zeigt die möglichen Auswirkungen: Thomas Kemmerich von der FDP wurde damals durch einen Trick der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Die AfD stellte zwar einen eigenen Kandidaten auf, wählte dann aber geschlossen Kemmerich, der dann mit Unterstützung von CDU und FDP die Mehrheit erhielt. Ramelow verlor und Kemmerich nahm die Wahl an. Dies führte beinahe zu einer Staatskrise, Angela Merkel griff ein, und Kemmerich bot einen Tag später seinen Rücktritt an. (Quelle: ZDF und FAZ.net)
Die Empfehlung: "Um derartige Szenarien in Zukunft zu vermeiden und die Transparenz der Wahl zu erhöhen, sollte die Wahl offen erfolgen", heißt es in dem Papier der Verfassungsrechtler_innen. (Quelle: Policy Paper Thüringen Projekt)
Verfassungsschutz: Nach aktuellem Recht könnte der Ministerpräsident die Chefs von Polizei und Verfassungsschutz sofort entlassen. Beide Positionen gehören zu den sogenannten politischen Beamten. Das bedeutet, dass sie ohne Angabe von Gründen vom Ministerpräsidenten in den einstweiligen Ruhestand versetzt und durch Personen seine Wahl ersetzt werden könnten.
Die Empfehlung: "Diese beiden Ämter sollten aus der Kategorie der politischen Beamten herausgenommen werden, da bei ihrer Ausübung die politische Neutralität besonders wichtig ist.” (Quelle: Policy Paper Thüringen Projekt)
Medienberichten zufolge bereiten sich die Verfassungsschutzbehörden bereits auf mögliche AfD-Erfolge vor. Sollte die AfD in Brandenburg, Sachsen oder Thüringen Teil der Regierung werden, würde das jeweilige Landesamt für Verfassungsschutz vom Informationsaustausch ausgeschlossen. (Quelle: mdr.de)
➡️ Was wurde aus den Empfehlungen?
Am 17. April stellten die beiden Expert_innen für Verfassungsrecht vom “Thüringen Projekt”, Maximilian Steinbeis und Juliana Talg, die Empfehlungen im Landtag von Thüringen vor, wie Journalist Ronen Steinke beschreibt: “Nur, bei der Vorstellung ihrer Empfehlungen im Erfurter Landtag saßen die beiden Experten vor dünn besetzten Stuhlreihen. Nur ein einziger Landtagsabgeordneter war gekommen, erinnert sich Maximilian Steinbeis, der auch Chefredakteur des Verfassungsblogs ist. Das war einer von der AfD, Ringo Mühlmann. „Der saß da irgendwo in der vierten Reihe ganz am Rand und hat keinen Ton gesagt“, sagt Steinbeis.”(Quelle/€: Sueddeutsche Zeitung)
Bislang sind die Empfehlungen nicht umgesetzt worden. Wozu es eine Debatte gab:
Die Vorgehensweise zur Wahl des Landtagspräsidenten. Hier hatte sich auch die CDU dem Vorschlag des Präsidenten des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, Klaus von der Weiden, für eine Rechtsänderung angeschlossen. “Im Justizausschuss des Landtags wurde debattiert. Aber vor allem die Linkspartei zeigte sich ablehnend. (...)Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, André Blechschmidt, sagt zur Erklärung: Für eine ordentliche Diskussion habe in vielen Punkten einfach die Zeit nicht mehr gereicht.” (Quelle/€: SZ)
Was die SPD in Thüringen gerne angehen wollte, wie es auch die Expert_innen vorgeschlagen hatten: “dass hohe Beamte wie etwa Polizei- oder Verfassungsschutzchefs nicht mehr grundlos von der Regierung entlassen werden können. (…) Nur: Weil das unter anderem für den derzeit amtierenden Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer (SPD) einer Art Jobgarantie gleichgekommen wäre, spielte wiederum die Union nicht mit.” (Quelle/€: SZ)
Eine Übersicht, was seit April mit den Empfehlungen des Thüringen-Projektes passiert (und nicht passiert) ist, findet ihr in diesem sehr lesenswerten SZ-Artikel (€) von Ronen Steinke.
Alle sieben Empfehlungen des Thüringen-Projekts findet ihr in diesem Policy Paper.
⚡ Ist das “Feel-Good-Rechtsextremismus”?
Zum Abschluss habe ich noch noch eine Lese-Empfehlung über die AfD-Wahlkampagne in Thüringen für euch. Die Kampagne selbst heißt “Der Osten macht’s” und der Politikberater Johannes Hillje hat eine sehr spannende Analyse dazu geschrieben:
“(...)die Kampagne ist das nächste Level der Selbstverharmlosung, sie soll einen „Feel-Good-Rechtsextremismus" erzeugen”. Laut Hillje wolle man sich nicht mehr nur als 'bürgerlich' oder Ähnliches verharmlosen, die Botschaften, Gestaltung, Emotionen der Kampagne zielten darauf ab, "Rechtsextremismus zu modernisieren, ästhetisieren und euphorisieren".
“Die Plakate haben größtenteils positiv formulierte Slogans und sind in warmen Farben gehalten. Das ist eine Abkehr von früheren Kampagnen, die deutlich mehr düstere Angst-Botschaften enthielten.” Besonders perfide ist ein Plakat, auf dem ein Flugzeug mit dem Spruch “Sommer, Sonne Remigration” zu sehen ist.
Die gesamte Analyse von Hillje, die ich euch sehr ans Herz lege, findet ihr hier. Das Video zur Kampagne mit allen Plakaten gibt es hier.
Das war’s für heute. Ich wünsche euch einen informierten Start in die Woche.
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