Warum die AfD auf TikTok so gefährlich ist
Ihre Strategie, ihre Tricks und vor allem: ihr Ziel
Hallo und herzlich Willkommen zur Folge 3 von Adé AfD,
da sich so viele das Thema TikTok und AfD gewünscht haben, geht es hier heute darum, warum die Partei auf TikTok - und überhaupt auf Social Media - so viel Erfolg hat und was das konkret für 2024 bedeutet. Spoiler: Der AfD geht es um eine ganz bestimmte Zielgruppe.
📲 Welche Rolle spielt die AfD auf Social Media?
Die AfD hat auf fast allen Plattformen die Nase vorn: Auf TikTok führt sie mit fast 400.000 Fans. Auf Facebook hat sie doppelt so viele Fans wie die restlichen Parteien, ein durchschnittliches YouTube-Video der AfD hat um die 37.000 Aufrufe, danach folgt die CSU mit knapp 10.000. Auf Instagram haben zwar die Grünen mehr Follower, die AfD dafür aber die engagierteren Fans: Ihre Interaktionsrate ist 3,6 mal so hoch wie die der anderen Parteien, ergibt eine exklusive Auswertung des Politikberaters Johannes Hillje auf ZDF Heute.
💡 Warum ist die AfD so stark auf TikTok?
Die Partei setzt von Anfang an auf Social Media - auch TikTok: “Als erste Fraktion richtete sie in ihren Räumlichkeiten im Bundestag ein professionelles Studio für die Videoproduktion ein. Häufig verschafft sich die AfD einen Wettbewerbsvorteil auf neuen Plattformen, indem sie zu den ersten Parteien gehört („first mover“), die dort systematisch kommunizieren. TikTok und Telegram sind Plattformen, auf denen die AfD vor allen anderen Parteien auf dem Platz war.” (Hillje/Blätter für deutsche und internationale Politik)
Die Partei versteht und nutzt den Algorithmus auf TikTok für sich aus:
Der Algorithmus spielt endlos Videos nach eigenen Vorlieben aus: „So entsteht ein gewisser Sog, den Nutzern werden immer mehr verwandte Inhalte angezeigt. Dieses ‚digitale Crack‘ nutzt die AfD wie keine andere Partei.“, erklärt Datenanalyst Benjamin Läpple in der Berliner Zeitung. Heißt konkret: Jegliche Interaktion mit dem Video vergrößert die Reichweite.
Man muss die Videos nicht aktiv suchen: “Sie kommen von allein, und das geht so: TikTok zeigt jedes hochgeladene Video wahllos einer bestimmten Anzahl von Menschen. Wenn es gelikt, kommentiert oder auch nur angesehen wird, wird es zusätzlich wieder neuen Menschen in die Timeline geschickt.”, zeigt Hillje im Interview mit der Tagesschau auf.
Die Partei bedient Emotionen, die besonders gut funktionieren: Hass, Wut und Angst: “Radikale und Populisten liefern jene emotionalisierenden, polarisierenden und provozierenden Inhalte, die von den Algorithmen mit höherer Sichtbarkeit belohnt werden, weil die User auf sie reagieren, folglich länger auf der Plattform verweilen.”(Hillje/ Blätter)
Die Partei passt ihre Kommunikationsstrategie an die Plattform an:
Parlamentsreden, die schon plattformkonform sind: “Die AfD denkt TikTok in ihrer politischen Arbeit schon im ersten Schritt mit. Da werden Reden vor dem Parlament so strukturiert und vorgetragen, dass sie die perfekte Länge und die perfekten Punchlines haben, um bei TikTok zu funktionieren.”, erklärt Kommunikationstrategin Carline Mohr auf LinkedIn. In einem ähnlichen Stil werden auch die Talkshow- und öffentlichen Auftritte von AfD-Politiker_innen verbreitet.
Der Influencer-Style: “Von Alice Weidel existieren zwei unverifizierte Accounts. Ein professioneller und ein Weiterer, der „dieausderafd“ heißt und höchstwahrscheinlich auch aus ihrem Umfeld betrieben wird. (…) Die Strategie hinter dem letzteren Account, der die Selbst-Memefizierung von Weidel nutzt, veröffentlicht sie hauptsächlich in Situationen in denen sie lacht, stammelt oder Sprüche klopft. (…) Dadurch erfährt sie eine digitale Verharmlosung und Normalisierung: Die lustige Frau aus der AfD, die man von Memes kennt.”, sagt Theresa Lehmann von der Amadeu Antonio Stiftung im Interview mit Belltower News. Ähnlich geht Maximilian Krah, der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl vor, indem er zum Beispiel Videos mit Dating Tipps für seine Follower veröffentlicht.
Die persönliche Ansprache: “Wenn man sich diese Videos anschaut, merkt man ganz oft, dass da um eine direkte Ansprache geht. Zum Beispiel Maximilian Krah (…) der guckt direkt in die Kamera und sagt “Jeder dritte Mann hatte noch nie eine Freundin. Du gehörst dazu?” So, also das heißt, da drauf muss man dann schon mal irgendwie reagieren. Ich fühle mich dadurch vielleicht ein bisschen herausgefordert. (…) Das ist ein sehr privates Thema, das heißt, das verfängt dann in meinem Kopf auch noch mal anders als ein klassisches politisches Thema.”, erläutert Journalistin Nadine Lindner im DLF-Interview.
Die Partei wird von einem großen Netzwerk anderer rechtsextremer Akteur_innen unterstützt: Dazu gehören u.A. die "Junge Alternative" (die Jugendorganisation der AfD) und die Identitäre Bewegung. Dies steigert die Reichweite der Partei. Zudem nutzt die AfD Drittaccounts, um Inhalte ihrer Hauptaccounts zu verbreiten. Das macht die Partei auch weniger angreifbar: Wird ein Hauptaccount der Partei gelöscht (wie der AfD-Account im Mai 2022 von TikTok selbst), gibt es genügend andere Accounts im Netzwerk, die die Informationen dennoch weitertragen. „Einen einzigen zentralen Account braucht die AfD auch gar nicht“, erklärt Politikberater Martin Fuchs in der taz, „denn Tiktok funktioniert über Personenmarken und Gesichter.“
🆘 Was machen die anderen Parteien?
Fokus auf klassische Medien: Andere Parteien konzentrieren sich auf etablierte journalistische Medien, wo sie ihr Publikum finden. Die AfD hingegen nutzt Soziale Medien, um eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen. „Faktisch hat die AfD eine neuartige Form der Propaganda in der deutschen Politik etabliert.“ (Hillje/”Blätter für deutsche und internationale Politik“): Die Partei setzt auf Partei-eigene Kanäle, die ihre eigenen Botschaften verbreiten. Dies hat historische Gründe: Die AfD sieht sich nach eigener Wahrnehmung von den etablierten journalistischen Medien unverstanden und ungerecht behandelt. Schon 2016 erklärte Alice Weidel in der NZZ: “Unser ambitioniertes Fernziel ist es, dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen.”
Sicherheitsbedenken bei TikTok: Die App gehört einem chinesischen Unternehmen, ist daher bei anderen Parteien nicht unumstritten, weil man chinesische Einflussnahme nicht ausschliessen kann.
Sehr sachliche, unpersönliche Ansprache: Viele Parteien verwenden eine sachliche Ansprache in sozialen Medien, während die AfD auf emotionale und polarisierende Inhalte setzt. In anderen politischen Inhalten auf anderen Kanälen geht es oft darum, die Sachlage verständlich zu erklären. Persönliche, direkte Ansprache, die emotionalisiert, ohne Hass und Hetze zu nutzen: Gibt es eher weniger.
Weniger Fokus auf junge Zielgruppen: “Demokratische Parteien sind auf TikTok immer noch unterrepräsentiert und teils sehr unbeholfen. Junge Menschen wollen ernst genommen werden und zwar nicht nur als Erstwähler*innen. Die AfD gibt vor das zu tun, während andere Parteien da scheinbar nicht so viel Handlungsbedarf sehen.”, erklärt Theresa Lehmann von der Amadeu Antonio Stiftung.
📲 Warum ist TikTok für die AfD so wichtig?
TikTok ist Teil der Wähler_innenstrategie: Es geht der Partei um die Jungen. “Bei der Bundestagswahl 2021 kam sie bei einem Gesamtergebnis von 10,3 Prozent unter Erstwählenden nur auf 6 Prozent. Seitdem wurden auf Bundes- und Landesebene die TikTok-Aktivitäten deutlich ausgebaut, was mutmaßlich zu den besseren Ergebnissen unter Jungwählenden bei den Landtagswahlen 2023 beigetragen hat.”, erklärt Johannes Hillje bei ZDF heute. Zur Erinnerung: In Hessen kam die AfD bei den Landtagswahlen 2023 bei Erstwähler_innen auf 15, in Bayern auf 16%.
TikTok ist das Sprachrohr für junge Menschen: In Deutschland nutzen etwa 20 Millionen Menschen TikTok, hauptsächlich Jugendliche und junge Erwachsene. Die AfD kann hier oft ungehindert ihre Inhalte verbreiten, was besonders Erstwähler_innen beeinflussen kann. 2024 stehen am 9. Juni die Europawahlen an, bei denen erstmals 16-Jährige wählen dürfen. In Deutschland finden Landtags- und Kommunalwahlen statt, wobei zum Beispiel in Brandenburg ebenfalls ab 16 gewählt wird.
👉🏼 Diesen Mittwoch gibt es einen Sonder-Newsletter mit Dos’s and Dont’s für den Umgang mit der AfD auf TikTok (auch für Parteien) - weil diese Folge sonst viel zu lang geworden wäre. Wenn ihr mir jetzt noch eure Frage zur AfD und wie wir die Demokratie auch auf TikTok verteidigen können, schickt, kommt sie mit rein!
Viele Grüße und einen guten Start in die Woche,
Franzi
🎉 Womit ihr mir eine ganz besondere Freude macht: Wenn ihr Menschen kennt, die auch alle Infos, Tipps, Argument und Ideen haben wollen, um zu verhindern, dass Rechtsextreme an die Macht kommen: Leitet ihnen gerne diesen Newsletter weiter.
🙋🏼♀️ Wer bin ich?
Mein Name ist Franzi von Kempis, ich bin Journalistin, Autorin und Kommunikationsberaterin. Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Frage, wie wir uns privat und am Arbeitsplatz für Demokratie und bessere Diskussionen einsetzen können. Wenn ihr wissen wollt, wie ihr corporate political responsibility oder schlicht demokratisches Handeln und echten Diskurs bei euch im Unternehmen umsetzen könnt: Meldet euch gerne bei mir.
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📖 Mein Sachbuch “Anleitung zum Widerspruch” erschien 2019 und liefert klare Antworten auf Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien. Das Buch erklärt dir, was du sagen kannst, wenn du schlicht nicht weiter weißt und dich sprachlos fühlst. Zum Beispiel: Was sage ich bei islamfeindlichen Sprüchen, wenn jemand etwas von einer jüdischen Weltverschwörung oder der Klimawandel-Lüge erzählt?
Mega nützlich! Klar funktioniert populismus auf Social Media gut, aber ein bisschen weniger ‚hier bin ich, langweiliger Politiker‘ auf dem Gruppenfoto vom Stammtisch meiner Sowieso-Wähler - würde allen Parteien extrem gut tun
Mega nützlich! Klar funktioniert populismus auf Social Media gut, aber ein bisschen weniger ‚hier bin ich, langweiliger Politiker‘ auf dem Gruppenfoto vom Stammtisch meiner Sowieso-Wähler - würde allen Parteien extrem gut tun