Das AfD-Playbook: Kulturkampf als Strategie?
5 Punkte, die alle Demokraten jetzt kennen müssen.
Ich bin 40, ich bin katholisch, es ist das Jahr 2025 und ich hätte nicht gedacht, dass ich es nochmal so klar formulieren muss:
Ich bin für das Recht jeder Frau selbst zu entscheiden, ob sie abtreiben möchte oder nicht.
Ich bin für eine Entkriminalisierung von § 218a.
Und ich bin entschlossen dagegen, dass die AfD (oder egal welche Partei, ehrlich gesagt) ihre Kulturkampf-Sehnsucht auf dem Rücken von Frauen austrägt.
Damit das mal gesagt wäre. Und damit sind wir schon mittendrin in dieser neuen Folge.
Denn was war das für eine letzte Woche:
Die AfD will sich Benimmregeln geben, einen Kulturkampf mit der Linken (bzw. eigentlich Allen) entfesseln, das alles schreiben sie auch brav in einem Strategiepapier auf - und die (abgesagte) Verfassungsrichterinnenwahl kam der Partei dabei gerade Recht.
Es passieren aktuell viele Dinge gleichzeitig und nicht immer erscheint jedem von uns logisch, woher auf einmal ein Thema kommt. Oder warum die AfD wieder on top ist. Weiß jede_r von uns, der das hier liest, welche Rolle rechtsextreme Medien bei der abgesagten Verfassungsrichter_innenwahl spielten? Oder dass die AfD vorhat, Kulturkampfthemen wie Abtreibung nur für ihren eigenen Profit voranzutreiben?
👉 Dieser Newsletter heißt nicht umsonst Adé AfD. Um das zu erreichen, müssen wir Demokratinnen und Demokraten (noch besser) verstehen, wie alles zusammenhängt, also wie die AfD zum Beispiel das Thema Abtreibung nutzt, um (vermeintlich) christliche Wähler*innen abzuholen. Oder mit welchem strategischen Ansatz die Partei in die Landtagswahlen zieht. Und was eine abgesagte Verfassungsrichter_innenwahl mit einer rechtsextremen Medienkampagne zu tun hat.
Deshalb geht es heute in diesem Newsletter darum, zu verstehen, was die AfD vorhat - auch und gerade mit Blick auf die demokratischen Parteien, uns Wähler_innen und die Landtagswahlen.
Legen wir los:
1. Der Kulturkampf als strategisches Werkzeug: Die AfD will Polarisierung erzwingen
⚠️ Die Partei will laut einem neuen Strategiepapier, das im Rahmen der Fraktionsklausur beschlossen wurde, die politische Debatte zu einem „Duell“ zwischen sich und einem „linken Lager“ zuspitzen – und dabei Gräben zu SPD und Grünen bewusst vertiefen. Mehr zu dem Papier findet ihr zum Beispiel in diesem Übersichtsartikel von Correctiv.
Dabei geht es nicht nur um Stimmungsmache, sondern um strategische Wirkung: SPD und Grüne sollen „nach links“ gedrängt, CDU und AfD in einem bürgerlichen Lager vereint werden.
Mit Kampfbegriffen wie „Gender versus Familie“ oder „Nation versus offene Grenzen“ sollen die Unterschiede maximiert und eine Einigung zwischen CDU und SPD/Grünen unmöglich gemacht werden. Dazu heißt es im Strategiepapier: “"Schwarz-Rot spalten". Die AfD will gezielt eine weitere Polarisierung vorantreiben – zwischen sich selbst und der Linken. Der Plan ist, SPD und Grüne weiter nach links zu drängen und zugleich den Graben zwischen CDU und den linken Parteien zu vertiefen.” (Quelle: SZ/Volker Weiß)
Laut Papier könne die AfD “wesentlich dazu beitragen, dass "die Auseinandersetzung in Politik und Gesellschaft zu einem 'Duell' zwischen den zwei sich unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern wird, zugespitzt auf eine Wahl zwischen AfD und Linke: Weidel oder Reichinnek"”. (Quelle ZEIT)
Wem solche fast schon “klassischen” Kulturkampfthemen übrigens bekannt vorkommen, hat Recht: Das ist wie aus dem MAGA-Playbook.
⚠️ Ebenfalls Teil des Strategiepapiers: Benimmregeln im Deutschen Bundestag. Dabei geht u.A: um die Fraktionsdisziplin. “Konkret: ein „gemäßigtes Auftreten im Parlament“, „um die politische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Fraktion sicherzustellen.” (Quelle: Tagesspiegel)
Solche Vorsätze sind nicht neu – schon früher hatte sich die AfD einen moderateren Auftritt verordnet. Ziel ist es nicht, sich inhaltlich zu ändern, sondern bürgerlich genug zu wirken, um neue Wähler:innen anzusprechen.
Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky analysiert im Gespräch mit dem Tagesspiegel: Um erfolgreich zu sein, müsse sich die AfD „von den sogenannten Etablierten abgrenzen, auch durch ihre Sprache. Wir wissen aus Studien, dass ihre Wähler gegen das politische Establishment sind. Die AfD kann also gar nicht anders, als ihren Duktus beizubehalten“.
Was bedeutet also der Verhaltenskodex? „Wenn die AfD über sich selbst sagt, sie sei gemäßigt, ist das eine reine Selbstbeschreibung“, sagt Lewandowsky. „Was das bedeutet, was sagbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Insofern ist all das in erster Linie Symbolpolitik.“ (Quelle: Tagesspiegel)
⚠️ Gleichzeitig hat die Partei ein mögliches Verbotsverfahren im Blick:
Und will genau da laut Strategiepapier ansetzen und zwar indem sie den Anteil der Bürger, die Angst vor der AfD haben, ein Verbotsverfahren unterstützen oder eine Zusammenarbeit mit ihr ablehnen, auf unter 50 Prozent zu drücken. (Quelle: ZEIT)
Was hat die Partei mit alldem vor?
Die AfD will sich so als scheinbar bürgerlich-konservative Alternative positionieren, alle anderen außer der CDU sollen zu „Linksradikalen“ gemacht werden und das Alles soll auf ihr Ziel, die Brandmauer endgültig zu stürzen, einzahlen. (vgl. ZEIT; Tagesspiegel, SZ/Volker Weiß).
Ihre Absicht: Das gesellschaftliche Klima zu ihren Gunsten verschieben – und die Akzeptanz so weit erhöhen, dass ein Verbotsverfahren politisch kaum noch durchsetzbar scheint.
Aber Moment mal: Ist so eine Mäßigung überhaupt möglich? Realistisch?
👉 Dazu muss man wissen, was Ann-Katrin Müller im SPIEGEL schreibt, nämlich, dass es in der AfD aktuell ein Machtkampf tobt und zwar zwischen diesen beiden Lagern:
“Die, die mit der CDU oder CSU koalieren wollen, auch, weil die AfD noch nicht stark genug ist, um allein regieren zu können. (...) Sie wollen meist eine Mäßigung im Ton, um sich für die Unionsparteien als regierungsfähiger und seriöser Partner zu inszenieren.
Auf der anderen Seite steht das völkische Lager, angeführt von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel und ihrem Vertrauten Sebastian Münzenmaier, dessen Netzwerk in den vergangenen Jahren immer mächtiger geworden ist. Auch der Thüringer Rechtsextremist Björn Höcke und seine Leute sind an dieses Lager angedockt. Dessen Vertreter wollen am liebsten keine Koalition mit der Union, sondern eine absolute Mehrheit, um »die reine AfD-Lehre« durchsetzen zu können, wie sie es nennen.
👉 Den vollständigen Artikel zum Machtkampf in der AfD lege ich euch in voller Länge sehr an’s Herz. Wer kein Spiegel Plus hat, gerne schreiben, ich habe noch 5 Geschenklinks für diesen Monat.
👉 Die AfD ist sich also intern längst nicht einig. Das zeigen sowohl die Pressekonferenz nach der Fraktionsklausur, in der Alice Weidel die Befürworter_innen eines AfD-Verbotsverfahrens in der SPD mit Adolf Hitler und den Nationalsozialisten verglich, als auch Weidels Rede zur Haushaltsdebatte und auch ihre Antwort auf die SPIEGEL-Nachfrage zum Thema Mäßigung: »Ich sehe unsere Fraktion nicht in der Situation, dass wir uns ›mäßigen‹ müssten«. Die AfD wolle lediglich das Auftreten im Bundestag abstimmen. »Dazu haben wir einen Verhaltenskodex beschlossen, der für alle als Leitfaden gelten kann.«
⚡ Was die AfD plant:
Eine Scheindebatte um ihre Mäßigung, um moderater und wählbarer zu erscheinen, während sie stattdessen verstärkt auf weitere Polarisierung und Spaltung abzielt.
⚡ Was wir wissen sollten und tun können:
Nicht auf die Mäßigungsrhetorik hereinfallen. Wenn sich die AfD moderat gibt, dann nie aus Überzeugung – sondern aus Kalkül. Im Kern bleibt sie, was sie ist: demokratiefeindlich, völkisch, spaltend. Maya Angelou hat es auf den Punkt gebracht: „When someone shows you who they are, believe them the first time.“
Die AfD zeigt uns seit Jahren, wer sie ist. Glaubt ihr – und nicht den Nebelkerzen, die sie uns vor die Füße wirft.
2. Die AfD will die CDU zuerst umgarnen und dann beerben – und die Brandmauer einstürzen lassen
In ihrem Strategiepapier bezeichnet die AfD die CDU/CSU offen als „Wunschpartner“. Aber eben nur als Vorübergehenden.
Das Ziel: Die Union in ein Dilemma zwingen. Entweder sie verliert Wähler an die AfD oder sie bewegt sich inhaltlich auf sie zu.
Wie das gelingen soll? Durch politischen Druck – mit Anträgen zu Migration, Wirtschaft und Sicherheit will die AfD gezielt Unionswähler ansprechen. Insbesondere wolle man jene Wähler erreichen, die die Union wegen einer Migrations- und Wirtschaftswende gewählt haben und nun von Schwarz-Rot enttäuscht würden. So will die AfD letztlich die Brandmauer zum Einsturz bringen.
Gleichzeitig möchte die AfD sich als Partei der "Sozialen Marktwirtschaft" profilieren und die Union in Sachen Wirtschaftskompetenz "überholen"
Die Strategie lautet: Druck erzeugen, CDU schwächen, anschlussfähig erscheinen – und dann die „Brandmauer“ kippen lassen. Der Historiker Volker Weiß drückt es in der SZ so aus: “Im Zentrum ihrer Pläne (der AfD, Anm.der NL-Autorin) steht das Werben um die CDU durch die Provokation der anderen. Die Union muss also verstehen, dass sie so von der AfD über die linke Bande angespielt werden wird. Lässt sie sich schon im Kulturkampf um Regenbogenflaggen in eine Front ziehen, wird sie zur Steigbügelhalterin.”
Mit Blick auf die Brandmauer sei die Strategie der AfD auch nachvollziehbar, so Politikwissenschafter Lewandowsky im Tagesspiegel: „Die Brandmauer bröckelt erheblich: Konservative und teils auch Vertreter der SPD und sogar der Grünen schwenken auf eine restriktivere Migrationspolitik ein und übernehmen rechte Sprache.“ Man wisse aus der Forschung: „Wenn die Mitte das übernimmt, verändert das demokratische Normen noch stärker, als wenn die radikale Rechte so spricht. Und es legitimiert die AfD zunehmend. Irgendwann wird es der Union immer schwerer fallen, ihre Abgrenzung zu begründen.“
Apropos Abgrenzung…
3. Die AfD nutzt die Richterinnenwahl als Eskalationsmoment im Kulturkampf
Die geplatzte Wahl der Verfassungsjuristin Frauke Brosius-Gersdorf war kein politischer Unfall, sie wurde schnell zum Schauplatz eines Kulturkampfs, wie ihn die AfD in ihrem Strategiepapier ausdrücklich fordert. Die AfD will „Schwarz-Rot spalten“ und Debatten in ein „Duell“ zwischen AfD und Linken zuspitzen – genau das ist hier passiert. Sogar ohne, dass die AfD viel dafür tun musste…
Was war (in aller Kürze) passiert?
Die Ampel und die Union hatten sich parteiübergreifend auf Brosius-Gersdorf als neue Richterin am Bundesverfassungsgericht geeinigt.
Doch nur Tage vor der geplanten Wahl startete in rechten Medien wie NIUS, Junge Freiheit und Apollo News eine Kampagne gegen die Kandidatin. In Artikeln und Social Media Posts wurde ihr fälschlich u.A. unterstellt, sie wolle Abtreibung bis kurz vor der Geburt erlauben (Quelle: Polisphere). In der heißen Phase kamen zusätzlich Plagiatsvorwürfe auf, erst ungeprüft, dann nach der Wahl-Absage vom Urheber zurückgenommen, aber medial wirksam.
Kirchenvertretende, zum Beispiel aus der katholischen Kirche, u.A. das Zentralkomitee deutscher Katholiken, griffen die Anti-Abtreibungspositionen ebenfalls öffentlichkeitswirksam auf, was die Wirkung der Kampagne nochmal zusätzlich verstärkte.
Beatrix von Storch (AfD) nutzte eine Parlamentsdebatte, um Friedrich Merz mit der liberalen Haltung der Kandidatin zum Abtreibungsrecht öffentlich zu konfrontieren. Merz bekannte sich klar zur Wahl der Kandidatin, erhielt dafür aber nur verhaltenen Applaus aus der eigenen Fraktion.
Kurz darauf eskalierte der interne Widerstand, und Merz gestand später ein, dass die Vorbehalte in der Union unterschätzt wurden und das Scheitern der Wahl so nicht absehbar gewesen sei. Zum vollen Hergang empfehle ich euch diesen RND-Text in voller Länge.
Jens Spahn (CDU), musste als Fraktionschef am Tag der geplanten Wahl in einer Krisensitzung einräumen, dass viele Abgeordnete nicht mitziehen würden, woraufhin die Union die Absetzung der Wahl forderte. In der Folge wurde Spahn parteiintern für den Kontrollverlust und das Führungsversagen kritisiert (siehe auch: ZEIT).
Die SPD verteidigte ihre Kandidatin, die CDU geriet unter Druck und zog sich schließlich zurück, mit fadenscheinigen Bezug auf Plagiatsvorwürfe, die bereits entkräftigt waren. Die Wahl wurde abgesagt. (Quellen: FR, Tagesschau).
Einen eindrücklichen Absatz habe ich in dieser Stellungnahme, unterschrieben von knapp 300 Rechtswissenschaftler_innen, gefunden. Er drückt für mich sehr gut aus, welche Rolle die Politik während dieses ganzen Prozesses gehabt hätte, nämlich die Verfassungsjuristin Brosius-Gersdorf vor unhaltbaren Vorwürfen und Rufmord zu schützen - und wie sie dabei versagt hat. Stattdessen wurden die Vorwürfe in Teilen noch durch eigene Aktionen unterstützt (siehe z.Bsp. die Plagiatsvorwürfe):
“Das Bundesverfassungsgericht und die deutsche Staatsrechtslehre haben ihr hohes – auch internationales – Ansehen nicht zuletzt durch die wohl einzigartige Verbindung von Verfassungspraxis und Verfassungsrechtswissenschaft gewonnen. Dies setzt aber voraus, dass Rechtswissenschaftler und Rechtswissenschaftlerinnen, die sich an dieser Praxis beteiligen sollen, von der Politik vor Herabwürdigung geschützt werden. Im Fall von Frauke Brosius-Gersdorf ist dies den dafür verantwortlichen Personen und Institutionen bisher nicht gelungen.” In der Tat: Das ist nicht gelungen.
Kluge Artikel und Stimmen, die den Werdegang und das Vorgehen vollumfänglich erklären, findet ihr zum Beispiel hier: taz, im Podcast Machtwechsel oder den oben genannten RND-Artikel).
👉 Das Ergebnis: ein symbolträchtiger Eklat, der genau die Gräben offenlegte, die die AfD strategisch vertiefen will. Das Schlimme daran: Die AfD selbst musste dabei wenig tun, außer zuspitzen. Eine getriebe Empörungswelle reichte aus, um eine bereits beschlossene Personalie innerhalb der Koalition ins Wanken zu bringen. Genau dieses Muster, also gezielte Eskalation über Kulturkampfthemen, beschreibt das Strategiepapier als zentralen Hebel für den Machtgewinn der Partei.
⚡ Was wir tun können und sollten:
Erkennen, dass die AfD Kulturkämpfe nicht nur nutzt, sondern systematisch inszeniert. Debatten werden künstlich aufgeblasen, um dort zu emotionalisieren, wo eigentlich breite gesellschaftliche Einigkeit herrscht. Der Soziologe Steffen Mau beschreibt es so: “Es gibt so etwas wie gefühlte Polarisierung. Die Leute überschätzen die politischen Differenzen”, sagte er. Das liege auch an einer Schubladisierung: “Wir glauben permanent zu erkennen, wer in welches Lager gehört, und sortieren uns auch selbst ein. Eine gefühlte Polarisierung kann so zu einer echten Polarisierung werden.”
Zu den emotionalisierten Debatten trügen auch die sozialen Medien bei, die polarisierenden Positionen übergroße Aufmerksamkeit ermöglichten. “Die Ränder bestimmen dort den Diskurs.” (Quelle: Evangelische Zeitung)
Dabei zeigen gerade beim Thema Abtreibung Zahlen ein klares Bild: 80 % der Menschen in Deutschland sprechen sich gegen das bestehende Abtreibungsverbot aus – selbst bei katholischen Wähler:innen sind es 65 %. Auch unter Wähler:innen von Union und AfD ist eine Mehrheit für Entkriminalisierung. (Quelle: taz/BMFSFJ von 2024)
Trotzdem schiebt die AfD genau dieses Thema nach vorne – nicht, weil sie Lösungen will, sondern weil sich das Thema für den Kulturkampf eignet. Ihr Ziel: das christliche Wahllager zu mobilisieren, indem sie sich an dessen radikaleren Rand andockt. Denn in Fragen von Nächstenliebe, Menschenwürde oder gesellschaftliche Verantwortung füreinander hat sie nichts anzubieten.
Und die Union? Spielt den Kulturkampf mit, wenn er nützlich erscheint. Sie beruft sich aufs C im Parteinamen, sobald es inhaltlich passt, um dann im entscheidenden Moment eine Verfassungsrechtlerin wie Brosius-Gersdorf nicht wegen menschenrechtlicher Bedenken, sondern wegen haltloser Plagiatsvorwürfe fallen zu lassen. Was für mich persönlich dabei sichtbar wird: Das sogenannte christliche Menschenbild scheint der Union nicht als Kompass zu dienen, sondern als politisches Werkzeug, das je nach Lage betont oder fallen gelassen wird.
4. Rechtsextreme Medienkampagnen haben die Wahl Brosius-Gersdorfs auch verhindert – und stärken die AfD
Was sich im Fall Brosius-Gersdorf abgespielt hat, war mehr als ein umstrittener Einzelfall. Es war ein prototypisches Beispiel dafür, wie rechte Netzwerke, Online-Medien und politische Akteure wie die AfD gemeinsam einen diskursiven Sturm entfesseln, und damit handfeste politische Konsequenzen erzwingen.
Innerhalb weniger Tage entstand eine koordinierte Kampagne: Den Anfang machte am 1. Juli das Portal Apollo News, kurz darauf folgten NIUS, Tichys Einblick, Junge Freiheit, AUF1 und Compact Magazin.
Die zentralen Narrative: Sie vertrete - angeblich - in Fragen der Abtreibung eine extreme Haltung, sei eine Verfechterin des Genderns und eine Befürworterin eines AfD-Verbots. Besonders emotional aufgeladen: die haltlose Behauptung, sie wolle „Abtreibung bis zum 9. Monat“ erlauben.
Parallel dazu liefen auf Social Media – allen voran auf X (ehemals Twitter) – tausende Posts, in denen Brosius-Gersdorf mit Reizthemen wie Abtreibung, Gender, AfD-Verbot oder Impfpflicht in Verbindung gebracht wurde. Plagiatsvorwürfe gegen die Juristin machten schließlich in der entscheidenden Phase zusätzlich die Runde – teils ohne überprüfbare Grundlage, aber mit enormer Verbreitung.
👉 Die Quelle für diese Fakten und eine sehr gute Übersicht mit spannenden weiteren Erkenntnissen dazu, die ich uns allen empfehle, findet ihr in dieser Recherche von Polisphere.
Das Ergebnis kennen wir: Die CDU zog sich in letzter Minute zurück. Die Wahl platzte. Die SPD stand isoliert da. Genau das kalkuliert das Strategiepapier der AfD: Konflikte anheizen, Einigkeit zerstören und die Union zwingen, sich entweder dem Kulturkampf anzuschließen – oder öffentlich zu wanken.
⚡ Was wir lernen und tun können:
Rechtspopulistische und rechtsextreme Medien sind längst professionell organisiert, plattformübergreifend vernetzt und bereit, gezielte Kampagnen zu fahren. Wer ihre Wirkung unterschätzt, übersieht, wie stark sie politische Debatten inzwischen prägen – und wie bewusst sie Empörung erzeugen.
Dieses Wissen hilft uns, aktuelle Dynamiken besser einzuordnen. Wenn sich scheinbar plötzlich ein Thema wie Abtreibung zuspitzt, liegt das oft nicht an realen gesellschaftlichen Konflikten – sondern daran, dass rechte Akteure genau solche Reizthemen gezielt pushen.
Unter dem Deckmantel der „Gegenöffentlichkeit“ werden hier Narrative aufgebaut, aufgeladen und viralisiert – über X, TikTok, YouTube oder Instagram. Wer sich fragt, woher bestimmte „Aufregerthemen“ kommen: Oft beginnt es genau dort. (Einen guten Artikel zu diesem Thema findet ihr hier: Belltower.News)
Wer die AfD wirklich schwächen will, lässt sich nicht auf ihren Kulturkampf ein. Bedient keine Feindbilder, führt keine Scheindebatten und fallt nicht auf Nebelkerzen herein. Hinterfragt, woher aufgeheizte Dynamiken kommen, zeigt Haltung und versucht Konflikte sachlich zu klären, wo es nur geht. Felix Kolb von Campact sagt es sehr deutlich: “Der erste Schritt, um die AfD zu besiegen, ist daher ganz einfach: als Demokrat*innen nicht nach ihrem Kulturkampf- Playbook spielen.”
⬇️ Und warum ist das alles gerade jetzt besonders wichtig? ⬇️
5. Die anstehenden Landtagswahlen 2025/26 sind der entscheidende Testlauf - für die AfD und uns alle
Manchmal wirkt es, als wäre mit der Bundestagswahl alles gesagt. Doch in den kommenden zwei Jahren stehen gleich fünf Landtagswahlen an – und sie könnten entscheidender werden als so manche Bundesdebatte. Denn für die AfD wäre eine erste Regierungsbeteiligung auf Landesebene ein gewaltiger Schritt: machtpolitisch, symbolisch – und ein Risiko für den föderalen Zusammenhalt.
Tatsächlich plant die AfD gezielt für die nächsten Landtagswahlen vor. Im Strategiepapier wird vorgerechnet: Nur wenn die AfD 30 % schafft, kann sie CDU als führende Kraft im Osten verdrängen. Dafür braucht die Partei Erfolge bei kommenden Landtagswahlen.
Die anstehenden Landtagswahlen werden damit zum Gradmesser für die Umsetzung ihrer Strategie: Kulturkampf, Polarisierung, CDU-Spaltung – all das soll in den kommenden Wahlkämpfen auf die Probe gestellt werden. Auch der Konflikt zwischen „Mäßigungslager“ und radikal-völkischem Flügel steht dabei auf der Probe. Schon jetzt zeigt sich: In Sachsen-Anhalt oder Thüringen geben Höcke und Co. den Ton an – nicht die Parteispitze in Berlin. (siehe: SPIEGEL-Artikel)
Aber: Während viele auf den Osten blicken, richtet die AfD längst den strategischen Blick nach Westen. Auch in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz wird in den nächsten zwei Jahren der Landtag gewählt, in NRW, Bayern und Hessen stehen Kommunalwahlen an. Auch hier will sich die AfD als anschlussfähig für konservative, akademische und kirchennahe Milieus präsentieren.
Die AfD weiß: Wenn sie es schafft, im Westen zweistellig zu werden, untergräbt dass das bisherige Narrativ einer „regionalen Partei“ und macht sie zu einem echten Koalitionsfaktor.
👉 Was wir als Demokrat:innen dabei nicht übersehen dürfen: Die AfD setzt nicht nur auf eigene Stärke – sie kalkuliert mit der Schwäche anderer. Sobald es keine klaren Regierungsmehrheiten mehr gibt, wächst der Druck auf CDU, SPD oder Grüne, sich zumindest rhetorisch zu bewegen.
Und genau da liegt die Gefahr: Die Brandmauer fällt womöglich nicht laut und öffentlichkeitswirksam – sondern still, Stück für Stück, „weil es irgendwie nicht anders geht“. (Quelle: MDR)
👉 Diese Landtagswahlen sind damit mehr als ein Stimmungstest. Sie sind der Moment, in dem sich zeigen wird, ob die demokratische Gesellschaft die Strategien der AfD, unter anderem die Kulturkampftaktiken als das erkennt, was sie sind – oder ihnen unbewusst nachgeben.
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Danke dir für diese gute Zusammenfassung und die angefügten Quellen. Habe genau so einen Artikel gesucht. ❣️
Guter Text, sauber eingeordnet.
Um an Steffen Mau anzuknüpfen.
Wo siehst du den Unterschied in dem was die AFD fordert und dem was die CDU macht? (Oder ist es eher so das es das gleiche ist allerdings mit einer höchstens langsameren Umsetzung und einer Weise die geltendes Recht ausreizt.)
Was denkst du würde passieren bei einem AFD verbot und strebst du ein solches an? Gibt es nicht in anderen Parteien heute schon Politiker die genauso gut ein „gemäßigtes“ AFD Mitglied sein könnten.