Ist ein AfD-Verbot realistisch?
Alle Pro- und Contra-Argumente & eine Einordnung vom Verfassungsexperten
Hallo und herzlich Willkommen zur neuen Folge Adé AfD,
was für eine Woche:
Tumulte bei der Landtagspräsidentenwahl in Thüringen, die AfD nutzte die konstituierende Sitzung für Machtmissbrauch, diese endete im Chaos - und ohne Wahl. Erst das Landesverfassungsgericht brachte Klärung, am Samstag konnte gewählt werden - eine ruhige Analyse der Ereignisse findet ihr hier.
Dann die Wahlen in Österreich: Die rechtspopulistische FPÖ ist zum ersten Mal in der Geschichte der Republik stärkste Partei im österreichischen Parlament, mit 29 Prozent knapp an den 30 Prozent vorbei. Warum eine Regierungsbildung schwierig wird, könnt ihr hier nachlesen.
Und dazu am Wochenende die Eilmeldung über den AfD-Verbotsantrag. Der Antrag soll in Kürze im Bundestag eingebracht werden, es gibt laut Medienberichten deutlich mehr als die nötigen 37 Unterstützer, aber auch Widerstand.
Ein mögliches AfD-Parteiverbot: Genau darum soll es hier heute gehen. Viele von euch haben mir seit den Landtagswahlen geschrieben, wie es um ein Parteiverbot steht, warum ein Antrag bisher nicht zustande kam - und ob ein Verbot überhaupt realistisch wäre.
Das habe ich für euch einen Profi gefragt: Prof. Dr. Franz-Alois Fischer ist Verfassungsrechtler, Rechtsphilosoph und lehrt an der FOM Hochschule für Ökonomie in München. Was der Grundgesetz-Ultra besonders gut kann: Komplexe Themen auf den Punkt bringen. Dazu lege ich euch zum Beispiel seine LinkedIn-Beiträge sehr ans Herz.
Also: Legen wir los.
Zum Einstieg: Was ist der aktuelle Stand?
Ein Antrag für ein Verbotsverfahren wird seit Monaten diskutiert - jetzt soll er laut Medienberichten bald an die Bundestagsfraktionen übergeben und im Bundestag eingebracht werden. Dafür wären mindestens 37 Abgeordnete nötig. Unterstützt wird die Initiative offenbar von einzelnen Politikern, jedoch nicht von ganzen Fraktionen, darunter Mitglieder von Union, SPD, Grünen und Linken.
Der Antrag zielt darauf ab, das Bundesverfassungsgericht zu bitten, festzustellen, dass die AfD verfassungswidrig ist und daher verboten werden kann. Alternativ soll geprüft werden, ob die Partei von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen werden kann.
Der ehemalige Ostbeauftragte und CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz, der sich seit Langem für ein AfD-Verbot einsetzt, berichtete bereits Mitte Juni von ausreichender Unterstützung für einen Antrag. Was aber noch dauerte: Die Ausarbeitung des Antrags insbesondere die Überarbeitung des Textes.
Mehr dazu findet ihr in zum Beispiel in diesem SPIEGEL-Artikel oder bei der WELT.
Welche Argumente werden gegen ein AfD-Parteiverbot eingebracht?
Mögliche Solidarisierung: Ein Verbot könnte zu verstärkter Unterstützung und Sympathie für die AfD in Teilen der Bevölkerung führen.
Lange Verfahrensdauer: Ein Verbotsverfahren würde dauern und hätte keinen garantierten Erfolg.
Opferrolle: Die AfD könnte sich als Opfer politischer Verfolgung inszenieren und davon profitieren.
Ausbleibende Problemlösung: Ein Verbot würde die zugrundeliegenden rechtsextremen Einstellungen in der Gesellschaft nicht beseitigen.
(Quellen: Deutschlandfunk, Tagesspiegel, BR)
Welche Argumente werden für ein AfD-Parteiverbot eingebracht?
Verfassungsfeindliche Ziele: Die AfD wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft und verfolgt laut Gerichtsurteilen verfassungsfeindliche Ziele.
Verletzung der Menschenwürde: Der Partei wird vorgeworfen, durch Äußerungen ihrer Führungspersonen wiederholt gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes zu verstoßen.
Aktiv kämpferische Haltung: Die AfD nehme laut Einschätzung von Abgeordneten eine "aktiv kämpferisch-aggressive Haltung" gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ein und wolle diese abschaffen.
Gerichtliche Bestätigungen: Mehrere Gerichte haben die Einstufung der AfD als rechtsextremen Verdachtsfall bestätigt, was als Basis für ein Verbotsverfahren dienen könnte.
(Quellen: Tagesschau, Deutschlandfunk , Tagesspiegel, BR)
Unter welchen Umständen wäre ein Verbot möglich - und sind die Voraussetzungen gegeben? Dafür übergebe ich an Prof. Dr. Franz-Alois Fischer:
Was sind die grundgesetzlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot?
Das Parteiverbot ist im Grundgesetz geregelt und hat im Wesentlichen vier Voraussetzungen:
Eine Partei muss erstens gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, das heißt gegen Menschenwürde, Demokratie oder Rechtsstaat verstoßen.
Das muss sie zweitens entweder tun, indem sie diese beseitigen, also durch etwas anderes ersetzen, oder zumindest beeinträchtigen will.
Drittens muss sich das aus den Zielen der Partei oder dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben. An diesem Punkt, der Frage der Zurechnung, also: Welche Aussage von wem aus welchem Kontext kann ich der Partei als Gesamter zurechnen, liegt der Hund begraben. Das ist der eigentliche Punkt, mit dem ein Parteiverbotsverfahren steht oder fällt und der es so wahnsinnig aufwändig macht. Jede einzelne Äußerung, jeder Post auf Social Media, jeder Satz aus einem Parteiprogramm oder ähnlichen Schriften muss abgeklappert werden.
Und viertens muss eine Partei das Potenzial haben, ihre Ziele auch zu verwirklichen, also groß und einflussreich genug sein, ihre Ziele auch umzusetzen. An diesem letzten Punkt – und nur daran – scheiterte das NPD-Verbotsverfahren.
Hinweis von Franzi: Einen Überblick über das NDP-Verbotsverfahren und woran es scheiterte, findet ihr hier.
💡 Ein Verbot setzt also voraus, dass die Partei die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen will- und dies in aggressiv-kämpferischer (gewaltsamer) Weise auch umsetzen will. Das wiederum muss sich aus den Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger_innen ergeben.
Sind diese Voraussetzungen bei der AfD gegeben?
Diese Voraussetzungen sind aus meiner Sicht teilweise gegeben. Die Achillesferse der AfD ist das berühmt-berüchtigte Schlagwort „Remigration“. Sollte der Nachweis gelingen, dass es Parteiziel ist, auch Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit aus Deutschland abzuschieben, wäre das ein Verstoß gegen die Menschenwürde und damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Denn Artikel 1 Grundgesetz sagt: Die Würde des Menschen ist unantastbar, nicht nur die Würde bestimmter Menschen. Sobald man anfängt, hier zu kategorisieren oder auszusortieren, verlassen wir den Boden des Grundgesetzes.
Haben die Ereignisse in Thüringen da grundsätzlich etwas verändert?
Die Ereignisse in Thüringen der letzten Tage spielen juristisch aus meiner Sicht keine sehr große Rolle. Die AfD hat hier ein seltsames Verständnis des Parlamentarismus offenbart, sich aber an den Beschluss des Verfassungsgerichts gehalten und – das ist natürlich erlaubt – eine andere Rechtsauffassung vertreten. Politisch spielt Thüringen natürlich trotzdem eine große Rolle.
Wäre es eine Option, nur einzelne AfD-Landesverbände zu verbieten?
Die Frage des Verbots einzelner Landesverbände ist im Grundgesetz direkt nicht geregelt, ist aber eine denkbare Option. Die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff sieht diese Möglichkeit beispielsweise juristisch für gegeben, wenn auch politisch riskant. Ich sehe das ebenfalls als Möglichkeit, gerade vor dem Hintergrund, dass einige ostdeutsche Landesverbände bereits als gesichert rechtsextremistisch eingestuft sind.
Wäre ein AfD-Verbotsverfahren, für das ja aktuell ein Antrag im Bundestag geplant ist, politisch eine gute Idee?
Zunächst mal: So ein Antrag einiger Abgeordneter heißt nur, dass ein Verbotsverfahren im Bundestag debattiert wird, nicht etwa, dass der Verbotsantrag tatsächlich beim Bundesverfassungsgericht gestellt wird – das können nur Bundestag, Bundesrat oder die Bundesregierung, nicht einzelne Abgeordnete.
Diese Frage in den Bundestag einzubringen, halte ich aber für eine gute Idee. Über diese Fragen muss öffentlich diskutiert werden, auch wenn freilich die AfD das wieder für ihre Opfernarrative ausnutzen wird.
Hinweis von Franzi: Einen Meinungsartikel von SPIEGEL-Journalistin Ann-Katrin Müller zum Thema Opfernarrativ der AfD und ihren Blick auf die Demokratie, den ich euch sehr empfehle, findet ihr hier.
Haben die Ereignisse in Thüringen hier einen Einfluss?
Thüringen hat inhaltlich nicht viel verändert, aber den politischen Druck erhöht. Vorher gab es viele Warnungen, zum Beispiel vom Projekt Thüringen des Verfassungsblog. Öffentlichkeit reagiert aber immer erst, wenn die Dinge konkret werden. Es wird jetzt etwas konkreter.
Mehr zum Thüringen-Projekt findet ihr in dieser Folge:
Wäre ein AfD-Verbot überhaupt realistisch zu diesem Zeitpunkt?
Der Knackpunkt ist die Zurechnung. Wer hat wann was in welchem Kontext gesagt? Hier ist die AfD ungleich „schlauer“ als die NPD. Die NPD hat ihre menschenverachtenden Punkte schlichtweg ins Parteiprogramm geschrieben und sogar nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beibehalten. Ich zitiere mal den damaligen NPD-Vorsitzenden: „Lieber verfassungsfeindlich als volksfeindlich.“
So doof oder man könnte auch sagen: so ehrlich ist die AfD nicht. Es wird eine unfassbar mühsame Sisyphusarbeit sein, der Partei die in Teilen vorhandenen Aussagen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zuzurechnen.
Wird ein Verbot durch Ereignisse wie bei der Landtagspräsidentenwahl in Thüringen realistischer?
Der politische Druck wächst durch Thüringen. Juristisch bleibt das eine Mammutaufgabe – eine Aufgabe, der sich aber ein gescheiter Rechtsstaat stellen kann und muss. Genau das ist Deutschland nämlich – ein Rechtsstaat – und das zeigt sich gerade im Umgang mit der AfD. In einer Autokratie, also der Staatsform, in die die AfD womöglich gerne reinmöchte, wäre sie schon längst verboten.
In einem Jahr ist Bundestagswahl. Würde ein Verfahren nicht Jahre dauern? Gäbe es Auswirkungen auf den Wahlkampf?
Ja, ein Verfahren würde Jahre dauern. Das NPD-Verbotsverfahren hat bereits mehrere Jahre gedauert. Bei der AfD wäre das nochmal komplexer. Es gäbe noch mehr Material auszuwerten, die Zurechnung wäre ungleich schwerer zu prüfen. Bis zur nächsten Bundestagswahl ist das unmöglich.
In der Zwischenzeit würde die AfD wahrscheinlich von einem Verbotsverfahren eher profitieren, weil sie sich in die Opferrolle begeben kann und ihre Mär vom undemokratischen Staat weiter treiben kann. Man denke mal an Trump in den USA, der die unzähligen Strafverfahren gegen sich zu seinen Gunsten genutzt hat.
🙏 Ich sage großes Danke an Franz & habe zum Abschluss für euch:
Eine Umfrage: Viele von euch haben mir geschrieben, dass ihr mehr zum Thema Umgang mit Populismus, AfD-Themen und Rechtsextremismus im Job wissen wollt.
Ein Veranstaltungstipp: Am 8. Oktober um 18:00 lädt die Stiftung EVZ zusammen mit der Hans und Berthold Finkelstein Stiftung zu einem Gespräch über NS-Vergangenheit von Unternehmen und demokratische Werte am Arbeitsplatz ein. Es geht um ihre Bedeutung für Unternehmen, den Umgang mit der eigenen Geschichte und gesellschaftliches Engagement.
Wer Lust hat, mit zu diskutieren - oder seine Tippfehlerliste der letzten Newsletter-Ausgaben mit mir in Person durchgehen möchte (angeblicher Höchststand: 12): Einfach hier entlang und dazukommen, ich freu mich sehr auf euch und den Abend!
Das war’s für heute. Wenn euch diese Folge gefällt, freue ich mich, wenn ihr mich oder den Newsletter empfehlt.
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Leute, setzt Euch poltisch mit der AfD auseinander, nicht juristisch.Gründe für deren Aufstieg ist die katastrophale Ampel-Politik.