Wie wählen, um die AfD kleinzuhalten?
Alle Infos, die du für die Bundestagswahl brauchst - und einen Veranstaltungstipp!
Hallo und herzlich willkommen zur neuen Folge Adé AfD,
hier sind in den letzten Tagen viele neue Lesende dazugestoßen und ich freue mich so sehr, dass ihr inzwischen fast 7000 Abonnent_innen mir euer Vertrauen schenkt.
Heute geht es um die Bundestagswahl und weil ich euch einige (viele;)) Infos & Ideen für eure Wahlentscheidung zusammengetragen habe, gibt es diese Folge ausnahmsweise schon am Wochenende.
Was verändert die Wahlrechtsreform? (Spoiler: Einiges)
Wie könnt ihr taktisch wählen, zum Beispiel um die AfD klein zu halten?
Stimmt die Aussage "Nichtwählen nützt nur den Rechtsextremen"?
Kleine Parteien wählen: Ja oder Nein?
Außerdem erfahrt ihr, wie KI euch bei der Wahlentscheidung unterstützen kann und welche Möglichkeiten ihr habt, im Job für die Bundestagswahl noch aktiv zu werden - sei es durch Infos für euer Team oder einen Geht-zur-Wahlaufruf.
🎇 Bevor es losgeht, habe ich noch eine Einladung für die Berliner_innen unter euch: Am 16.2. lädt Esther, die Besitzerin des Keyser Soze in der Tucholskystrasse, zusammen mit mir und meiner großartigen Freundin Axum zur “Offenen Gesellschaft” ein. Von 16:00 bis 18:00 sprechen wir zusammen darüber, was wir alle gerade jetzt tun können, um uns für die Demokratie einzusetzen (und wie wir zum Beispiel noch-nicht-Wahlentschlossene motivieren können). Mit dabei sind u.A.: 🎉 Mo Asumang und Raúl Krauthausen.🎉 Kostenlose Tickets gibt es hier. Kommt vorbei, diskutiert mit, wir freuen uns auf euch!
Los geht’s:
Zum Start habe ich euch zwei aus meiner Sicht sehr gute Gründe mitgebracht, weshalb wir möglichst Viele zur Wahlbeteiligung motivieren sollten.
Die AfD konnte bei der Europawahl 2024 Wähler verschiedener etablierter Parteien für sich gewinnen, insbesondere von CDU/CSU, SPD und FDP. Eine repräsentative Studie zur Bundestagswahl 2021 zeigt aber auch, dass 50 Prozent der Wähler_innen ihre Entscheidung erst in den letzten vier Wochen vor der Wahl trafen. 14 Prozent entschieden sich in der letzten Woche des Wahlkampfs, 9 Prozent am Wahltag selbst. Wir befinden uns also mitten im 4-Wochen-Fenster der Entscheidung. (Quelle: ZEIT)
Zur kommenden Wahl droht eine historisch hohe Anzahl an Nichtwählern. Schon bei der letzten Bundestagswahl stellten mit 14 Millionen (23,7%) die Nichtwähler_innen die größte Gruppe - mehr als die SPD mit circa 12 Millionen Stimmen. Eine aktuelle Forsa-Umfrage prognostiziert für die kommende Wahl einen möglichen Anstieg der Nichtwählerquote auf 28 Prozent. (Quelle: FR)
Was bedeutet eine niedrige Wahlbeteiligung für die Parteien?
1. Niedrige Wahlbeteiligung heißt erstmal: Weniger Hürden für alle
Eine niedrige Wahlbeteiligung verändert die Mehrheitsverhältnisse: Weniger Gesamtstimmen bedeuten eine niedrigere Hürde für die absolute Mehrheit. Dies begünstigt Parteien mit größerer Wählerschaft und schadet jenen, deren Anhänger häufiger nicht wählen gehen.
Je niedriger die Wahlbeteiligung, desto weniger absolute Stimmen brauchen Parteien, um die Sperrklausel zu überwinden. Bei einer Wahlbeteiligung von 76 % (wie bei der Bundestagswahl 2021) reichen bereits 2,3 Millionen Stimmen für 5 % – statt 3 Millionen bei 100 % Beteiligung.
Alle Parteien profitieren theoretisch von vielen Nichtwählern, weil sie selbst mit absolut weniger Stimmen und weniger Stammwählern ihr Wahlziel erreichen können.
Große Parteien wie SPD oder Union gewinnen jedoch prozentual stärker, da sie einen stabileren Wählerstamm haben. (Quellen u.A. t-online.de, nw.de)
Ungültige Stimmen vs. Nichtwählen: Auch ungültige Stimmabgaben erhöhen die Wahlbeteiligung, haben aber keinen Einfluss auf die Sitzverteilung. Indirekt profitieren hier eher kleinere Parteien. (Quelle: BR)
2. Sind extremere Parteien beim Mobilisierungspotenzial im Vorteil?
AfD und BSW könnten profitieren: Untersuchungen zeigen, dass bisherige Nichtwähler bei vergangenen Wahlen häufig zu rechtspopulistisch orientierten Parteien wie der AfD, oder dem populistischen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wechselten. In Brandenburg etwa stimmten 79.000 frühere Nichtwähler für die AfD. (Quelle: rp-online.de)
Extremere Parteien zielen auf Protest-Wähler: Dieser Typus (ca. 16 % der Nichtwähler) gibt an, sich von keiner Partei vertreten zu fühlen. Rechtspopulistische Parteien nutzen diese Unzufriedenheit gezielt durch polarisierende Themen wie Migration. (Quelle: bpb.de)
Ein Teil potenzieller Nichtwähler geben an, aus Sorge vor einem Erstarken der Rechtsextremenn doch wählen zu gehen – auch zugunsten linker Parteien. (Quelle: Rosa Luxemburg Stiftung)
3. Bei Nichtwählern geht es um soziale Ungleichheit & politische Apathie
Nichtwähler_innen sind laut Untersuchungen überproportional in sozial benachteiligten Gruppen vertreten, will heißen: Die soziale Ungleichheit zeigt sich auch beim Nichtwählen. Studien zeigen zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen sinkender Wahlbeteiligung und steigender sozialer Spaltung. Das wiederum kann rechtspopulistische Parteien begünstigen, die soziale Ungleichheit für ihre Zwecke instrumentalisieren und auch in ärmeren Regionen/Gegenden stärker mobilisieren. (Quellen: Rheinische Post, Rosa Luxemburg Stiftung)
Stimmt die These „Nichtwähler stärken die Rechtsextremen“?
Es gibt keinen Automatismus: Nichtwähler sind keine homogene Gruppe. Laut der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) sind lediglich 40 % der Nichtwähler anfällig für rechtspopulistische Narrative – jedoch ohne feste ideologische Verankerung. Viele verorten sich in der politischen Mitte oder sind durch „Orientierungslosigkeit“ geprägt. Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung identifizieren bis zu 16 % linke Wählerpotenziale unter Nichtwählern. (Quellen: FES; Rosa Luxemburg Stiftung)
Vor allem bildungsferne und ökonomisch benachteiligte Schichten bleiben der Wahl fern. Ihre Mobilisierung hängt stärker von sozialpolitischen Lösungen als von populistischen Parolen ab. (Quellen: Rheinische Post, Rosa Luxemburg Stiftung)
Was auch stimmt: Viele Nichtwähler_innen fühlen sich von etablierten Parteien ignoriert. Rechtspopulistische Parteien nutzen diese Lücke durch gezielten Haustürwahlkampf und einfache Botschaften. (Quellen: MDR, Rosa Luxemburg Stiftung)
Der Politikwissenschaftler Robert Vehrkamp (Bertelsmann-Stiftung) betonte schon nach der Wahl 2021, dass Nichtwähler keine Parteibindung haben und somit theoretisch für alle Formationen mobilisierbar sind. (Quelle: DLF)
Grundsätzlich gilt Vorsicht bei pauschalen Aussagen: Denn hilft uns das „Blaming“ wirklich? Pauschale Zuschreibungen, Nichtwähler stärkten die Rechtsextremen oder Nichtwähler_innen schadeten der Demokratie lenken nämlich vor allem von den strukturellen Ursachen ab:
Es gibt einen gewissen Vertrauensverlust in etablierte Parteien (siehe auch diese wissenschaftliche Untersuchungen der FES).
Dazu kommt, dass prekäre Lebensverhältnisse oft mit niedriger Wahlbeteiligung korrelieren. Reines Bashing ignoriert also, dass Nichtwähler_innen oft systematisch ausgegrenzte Gruppen sind (z.B. Geringverdiener) und sich von Parteien nicht vertreten fühlen.
Außerdem: Das Bundesverfassungsgericht betont, dass Wahlenthaltung ein legitimes demokratisches Recht ist. Die Unterstellung, Nichtwähler schadeten der Demokratie, widerspricht dem Prinzip der freien Willensbildung (Quelle: bundesverfassungsgericht.de, br.de, bundesregierung.de)
Was wichtig bleibt auch im demokratischen Sinne: Möglichst viele potentielle Nichtwähler_innen zu erreichen - und sie (auch aus Parteiensicht) nicht abzuschreiben. Eine spannende Initiative von engagierten Privatpersonen hat sich dazu zusammengetan, um Infos rund um’s Wählen zusammenzutragen und das Überzeugen und Mobilisieren von Nichtwähler_innen zu vereinfachen: Viele Links und Ideen dazu findest du hier.
Was muss ich beim taktischen Wählen bedenken?
Wer strategisch/taktisch wählt, hat oft auch bestimmte Koalitionen dabei im Blick: "Bei der anstehenden Bundestagswahl ist es ungleich schwieriger, in Koalitionen zu denken, weil wir mindestens drei, wenn nicht sogar vier Parteien haben, von denen wir wissen, dass sie den Einzug in den Bundestag eventuell schaffen, eventuell aber auch nicht (...) Man weiß im Grunde nicht, ob es für eine Zweierkoalition reichen oder ein Dreierbündnis zwingend wird. Daran scheitert dieses Koalitionsplanungswählen schon ein bisschen.", sagt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. (Quelle: ZEIT)
Die Wahlrechtsreform hat einiges verändert: Direktmandate führen nicht mehr zu einer automatischen Vergrößerung des Bundestags.
Als kleiner reminder: In Deutschland wählen wir mit der Erststimme die Person, die direkt für unseren Wahlkreis ins Parlament einzieht. Mit der Zweitstimme entscheiden wir, wie stark eine Partei im Bundestag vertreten ist.
Früher kamen alle erfolgreichen Direktkandidat_innen ins Parlament - auch wenn ihre Partei nach Zweitstimmen weniger Sitze erhielt. Dies wurde durch Überhang- und Ausgleichsmandate kompensiert. Durch die Abschaffung dieser Überhang- und Ausgleichsmandaten entscheidet jetzt die Zweitstimme, wie viele Sitze eine Partei erhält.
“Dieses Prinzip der Zweitstimmendeckung ist die entscheidende Änderung zum alten Wahlrecht: Wer im Wahlkreis gewinnt, ist künftig nicht mehr sicher im Bundestag. Es hängt von der Zahl der Zweitstimmen der jeweiligen Partei im betreffenden Bundesland ab, ob Kandidierende mit den meisten Erststimmen in einem Wahlkreis auch tatsächlich ins Parlament einziehen.” (Quelle: Tagesschau)
Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate, als ihr durch Zweitstimmen zustehen, verfallen die überschüssigen Mandate. Gewinnen sie mehr Wahlkreise, kommen die Kandidaten mit den wenigsten Erststimmen nicht zum Zug. (Quellen: Tagesschau; SWR; bpb.de)
“Ein vereinfachtes Beispiel: Holt eine Partei in einem Bundesland 50 Direktmandate, nach dem Zweitstimmenergebnis stehen ihr aber nur 48 Mandate zu, dann gehen die beiden Direktkandidaten mit den schlechtesten Erststimmergebnissen leer aus.” (Quelle: Tagesschau)
Wann eignet sich taktisches Wählen?
Zum Beispiel: Zweitstimme gezielt für Koalitionsziele oder Überwindung der 5%-Hürde einsetzen
Die Zweitstimme entscheidet über die Sitzverteilung im Bundestag. (Quelle: Tagesschau)
Konkretes Beispiel:
Wenn die Wunschpartei (z. B. FDP oder Linke) in Umfragen knapp unter 5 % liegt, können Zweitstimmen (theoretisch) den entscheidenden Unterschied machen.
Um unerwünschte Koalitionen zu verhindern, könnten Unions-Anhänger*innen die FDP unterstützen oder SPD-Wählende die Grünen stärken. (Quelle: Watson)
Oder: Erststimme für Direktmandate mit Grundmandatsklausel nutzen
Die Grundmandatsklausel ermöglicht Parteien mit mindestens drei Direktmandaten den Bundestagseinzug – auch wenn sie unter 5 Prozent der Zweitstimmen liegt. Ein Direktmandat erhält, wer in einem Wahlkreis die meisten Erststimmen bekommt.
Eine mögliches Beispiel für strategisches Wählen:
In Wahlkreisen, wo Kleinparteien (z. B. Die Linke oder die FDP) chancenreiche Direktkandidat*innen haben, kann die Erststimme ihnen helfen, die Klausel zu aktivieren.
Achtung: Siehe weiter oben, das Prinzip der Zweitstimmenabdeckung muss jetzt bedacht werden.
Lohnt sich Stimmensplitting noch?
Zumindest ist es riskanter geworden als noch vor der Wahlrechtsreform: Bisher war das Stimmen-Splitting - die getrennte Vergabe von Erst- und Zweitstimme - eine verbreitete und auch beliebte Strategie. Mit der Erststimme wurde oft ein bevorzugter Direktkandidat gewählt, während die Zweitstimme strategisch eingesetzt wurde, um bestimmte Koalitionen zu ermöglichen oder zu verhindern.
„Mit dem neuen Wahlrecht geht das nicht mehr so leicht“, sagt Rainer Faus, Chef des Wahl- und Meinungsforschungsinstituts Pollytix. Denn nach dem neuen Wahlrecht würde man der präferierten Partei mit diesem Vorgehen womöglich schaden, indem man ihr die wichtige Zweitstimme entzieht. In der Folge verliert die Erststimme noch einmal an Bedeutung. (Zitat aus: Tagesspiegel)
Kleine Parteien wählen: Ja oder Nein?
Die Entscheidung selbst kann einem niemand abnehmen (glücklicherweise!), aber ich gebe ich euch eine Übersicht über das Für und Wider. Eine sehr kluge Übersicht gibt es auch in diesem Krautreporter-Artikel von Rico Grimm, den ich euch in voller Länge an’s Herz lege.
➡️ Gründe für die Wahl kleiner Parteien:
Thematische Vielfalt: "Was kleine Parteien ganz wichtig macht, sind Themen, die in der Bevölkerung wichtig sind, aufzugreifen und in den politischen Prozess zu bringen", so Politologe Koschmieder /FU Berlin). Wenn ein wichtiges Thema von den großen politischen Parteien nicht beachtet würde, dann greife eine Kleinpartei das Thema auf. (Quelle: butenundbinnen.de)
Politischer Einfluss ohne Mandat & potenzielles Wachstum: Auch ohne Parlamentssitze können kleine Parteien die politische Agenda beeinflussen, indem sie neue Themen setzen. Dazu kommt: Kleine Parteien können sich zu größeren entwickeln (siehe zum Beispiel die Grünen - oder leider auch die AfD).(Krautreporter)
Finanzielle Unterstützung: Ab 0,5% der gültigen Zweitstimmen erhalten Parteien staatliche Finanzierung, was ihre Strukturen stärkt."Das ermöglicht dann auch kleinen Parteien, in Zukunft präsent zu sein, Plakate und Veranstaltungen zu finanzieren – und damit weiter am öffentlichen Dialog teilzunehmen", so Robert Vehrkamp, Demokratieforscher der Bertelsmannstiftung. (rbb24)
➡️ Gründe gegen die Wahl kleiner Parteien:
Stimmenverfall: Stimmen für Parteien unter 5% fließen nicht in die Sitzverteilung ein, was den Einfluss auf die Regierungsbildung mindert. (rbb24)
Andere Parteien werden indirekt gestärkt: Stimmen für Kleinparteien unter 5% erhöhen indirekt das relative Gewicht der ins Parlament einziehenden Parteien. Wähler von Kleinparteien haben theoretisch weniger Einfluss auf konkrete Gesetzgebung und Regierungsarbeit. (Krautreporter)
Zersplitterung der politischen Landschaft: Viele kleine Parteien können die Regierungsbildung erschweren und die Effizienz des politischen Systems beeinträchtigen.
Wie kann ich die AfD kleinhalten?
Eine Option, eine Wahlentscheidung zu treffen ist auch das sog. “Reverse Voting”: Welche Partei will ich auf gar keinen Fall an der Macht haben? Und was kann ich dafür tun, dass das nicht klappt? Zum Beispiel: Wen wähle ich, anstatt frustriert nicht zu wählen, um Rechtspopulisten kleinzuhalten? Und sich dann überlegen, wie man dieses Ziel erreicht:
Du kannst deine Zweitstimme gezielt einsetzen: Um eine Koalition zu fördern, die die AfD ausschließt, können Wähler:innen ihre Zweitstimme einer Partei geben, die potenziell stärker in der Lage ist, regierungsfähige Bündnisse zu bilden. (Quelle: ZEIT)
Du kannst Parteien, die an der Fünf-Prozent-Grenze kratzen, unterstützen: Bei drohendem Scheitern von demokratischen Parteien an der Sperrklausel (z. B. FDP oder Die Linke) könnten taktische Stimmen helfen, deren Einzug ins Parlament zu sichern und so die AfD zu isolieren. (Quelle: SWR)
Du kannst dein Stimmensplitting auf den Prüfstand stellen: Durch die Wahlrechtsreform kann das Verteilen von Erst- und Zweitstimmen auf verschiedene Parteien kontraproduktiv sein, da Überhangmandate entfallen. Stattdessen kannst du dir überlegen, beide Stimmen einer Partei geben, die klare Mehrheiten gegen die AfD anstrebt.
Oder Direktmandate strategisch nutzen: Da das neue Wahlrecht Direktmandate nur noch begrenzt berücksichtigt, sollten Erststimmen gezielt an Kandidat:innen gehen, die in Hochburgen der AfD Aussicht auf Erfolg haben.
Manche Akteure wie Campact raten dazu, Kleinparteien mit unter 5 % meiden: Aus ihrer Sicht sollten progressive Wähler:innen kleinere Parteien (wie Volt oder die Tierschutzpartei) nur wählen, wenn diese Umfragen zufolge die Sperrklausel überspringen. Siehe dazu aber auch den Abschnitt: “Kleinparteien: Ja oder Nein?”.
Allen, die sich noch mehr mit dem Thema “Wählen & AfD kleinhalten” beschäftigen wollen, empfehle ich diesen Artikel der Krautreporter von Lea Schönborn.
Wie fälle ich eine Wahlentscheidung?
Eine Möglichkeit: Ich frage mich, was wünsche ich - Franzi - mir persönlich für mich und meine Liebsten in diesem Land? Zu Beginn des Jahres beschäftigen sich ja viele mit Reflexionsfragen – vielleicht könnte man das ja mal politisch übersetzen. Etwa indem wir es auf ganz konkrete Sachen herunterbrechen. Zum Beispiel: Gute Kinderbetreuung, ein faires Leben für Familie und Freunde unabhängig davon wer welchen Hintergrund hat, ein klares Bekenntnis zu XY... Was euch besonders wichtig ist. Wenn man sich so ein konkretes Bild macht, sucht es sich vielleicht leichter nach einem passenden politischen Gegenüber.
Für den inhaltlichen Überblick gibt außerdem sog. digitale Wahlhelfer - und kluge bereits vorgefertigte Zusammenfassungen zu bestimmten Themen.
🗳️ Tool-Liste (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) 🗳️
Wahl-O-Mat: Vergleicht eigene politische Positionen mittels 38 Thesen mit den Programmen aller 29 antretenden Parteien – inklusive Parteienbegründungen und Gewichtungsoptionen.
Real-O-Mat: Analysiert das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Parteien im Bundestag für realitätsnahe Vergleiche.
WahlSwiper: Entscheidungshilfe per Swipe-Mechanismus (rechts/links); Enthaltungen sind keine Option (überspringen und doppelt gewichten geht).
Wahltraut: Fokussiert auf Gleichstellungsthemen wie Anti-Rassismus, LGBTQIA+-Rechte und Inklusion.
Steuer-O-Mat: Vergleicht die Steuerpläne der großen Parteien. Hinweis: Es sind weniger kleine Parteien dabei.
Wahl-Kompass: Thematische Filterfunktionen für gezielte Programmvergleiche, mal ne ganz andere Ergebnisform (und wer will kann für wissenschaftliche Zwecke eine Daten_Spende abgeben).
DeinWal: Hier wird das historische Abstimmungsverhalten der Parteien abgeglichen.
➡️ Du willst wissen, wofür deine Direktkandidierenden stehen? Dann mach den Kandidierendencheck von Abgeordnetenwatch.
Manchmal hilft es auch, sich bei bestimmten Themen einen Überblick durchzulesen.
➡️ Zum Thema Inklusion hat der Diversity Manager René Schaar eine gute Übersicht erstellt.
➡️ Oder der WWF-Wahlcheck: Hier werden Umwelt- und Klimaschutzpositionen der Parteien anhand ihrer Wahlprogramme überprüft.
➡️ Für soziale Fragen hat der DLF einen Überblick.
➡️ Einen ganz allgemeinen Überblick findet ihr auf wensollichwahlen.de
Wie hilft mir KI?
Es gibt inzwischen auch KI-basierte Tools, zum Beispiel:
wahl.chat: KI-gestützter Chatbot, der gezielte Fragen zu einzelnen Wahlprogrammen beantwortet und Originalzitate liefert.
Wahlweise: Interviewt via KI mehrere Parteiprogramme gleichzeitig und generiert vergleichende Zusammenfassungen.
Ebenso kannst du aber auch selbst die KI anwerfen und dir von ihr durch die Wahlprogramme führen lassen. Die KI-Expertin Barbara Lampl (ihren spannenden Newsletter findest du hier) schlägt dafür folgende Tipps vor:
📱 Wie du das KI-Tool deiner Wahl am besten fütterst (zum Beispiel Chat GPT)
Lade das Dokument oder die Dokumente hoch (PDF, TXT, Markdown).
Wenn du dir unsicher bist, wieviel du hochladen kannst: Frage einfach wieviel Kontext verarbeitet werden kann.
Formuliere einen präzisen Prompt:
"Fasse die Steuerpolitik aus diesem Wahlprogramm zusammen."
"Vergleiche die Bildungspolitik dieses Programms mit dem von Partei Y."
Hinweis: Strukturierte Prompts helfen:
Wenn du sagst:
"Analysiere bitte nur den Abschnitt zur Klimapolitik auf Seiten 30–50 des Wahlprogramms von Partei X."
… kann die KI gezielter vorgehen.
Quellenangaben erfragen:
"Gib die Seitenzahl oder den Abschnitt an, aus dem diese Information stammt."
Ergebnisse prüfen:
Lass dir Tabellen oder Stichpunktlisten erstellen, damit du leichter mit dem Originaltext abgleichen kannst.
📱
Grundsätzlich kannst du die Programme aus allen möglichen Perspektiven durchsuchen lassen:
💡 Prompts, die sich auf deine oder sehr spezifische Lebensituationen beziehen:
➡️ Du kannst einen Prompt genau auf dich und deine spezifische Situation zuschneiden, zum Beispiel so:
"Analysiere den Abschnitt zur Arbeitsmarktpolitik aus der Sicht von:
einer alleinerziehenden Mutter mit Teilzeitjob,
einem 55-jährigen Industriearbeiter kurz vor der Rente,
einer jungen queeren Person, die gerade ihr Studium abgeschlossen hat."
➡️ Oder die konkreten Auswirkungen auf deinen Alltag erfragen:
"Wie würde sich die geplante Wohnungsbaupolitik der [Partei Y] auf den Mietmarkt in Deutschland auswirken?"
"Wenn ich selbstständig bin, was ändert sich für mich laut dem Wahlprogramm der [Partei X]?"
💡 Prompts, die dir helfen können, sprachliche und rhetorische Manipulation zu erkennen:
"Gibt es in diesem Wahlprogramm rhetorische Techniken, die gezielt bestimmte Emotionen hervorrufen sollen? Nenne Beispiele."
"Gibt es Passagen, die mehr versprechen, als sie konkret ausführen? Zeige diese Abschnitte."
💡 Prompts für eine kritische Analyse und Bewertung der Wahlprogramme:
"Gibt es Widersprüche oder Unklarheiten im Wahlprogramm der [Partei X]?"
"Bewerte die Umsetzbarkeit der energiepolitischen Maßnahmen."
💡 Prompts, die emotionale und psychologische Reflexion in den Blick nehmen:
"Welche Emotionen könnte das Wahlprogramm der [Partei X] bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen auslösen?"
"Analysiere den Sprachstil des Wahlprogramms: Wirkt er motivierend, warnend, optimistisch oder ängstlich?"
💡 Prompts, die dir helfen, dich auf Gespräche mit Noch-Nicht-Überzeugten Wähler:innen vorzubereiten:
➡️ Gegenargumente zu “meine Stimme bringt nichts”:
"Erstelle eine Liste von Gegenargumenten für einen Nichtwähler, der glaubt, dass seine Stimme keinen Unterschied macht. Bitte berücksichtige dabei sowohl statistische Argumente als auch Beispiele aus der Geschichte, die zeigen, wie einzelne Stimmen Wahlen entschieden haben."
"Welche Punkte der Wahlprogramme X, Y Z könnten einen/eine Nichtwähler:in trotzdem überzeugen?"
➡️ Gegenargumente zur “Für mich gibt’s keine Partei”:
"Erstelle eine Liste von Gegenargumenten für einen Nichtwähler, der keine Partei findet, die seine Interessen vertritt. Diskutiere die Wichtigkeit von Wahlbeteiligung als ein Signal für politischen Wandel und die Rolle von Nichtwählen in der Stärkung der aktuellen Machtverhältnisse."
➡️ Prompt für ein simuliertes Gespräch über politische Teilnahmslosigkeit:
"Simuliere ein Gespräch, in dem ich versuche, jemanden, der politisch desinteressiert ist, davon zu überzeugen, dass jede Stimme zählt. Der Nichtwähler ist skeptisch und glaubt, dass seine Stimme keinen Unterschied macht. Ich möchte argumentieren, dass jede Stimme wichtig ist, besonders in knappen Entscheidungen."
➡️ Und ein Hörtipp für uns alle: Es gibt viele Menschen in Deutschland, die gar nicht wählen dürfen (jeder 7. Erwachsene, to be exact). In anderen Ländern wie Neuseeland oder Schottland dürfen Menschen ohne Staatsbürgerschaft an nationalen Wahlen teilnehmen, bei uns ist das nicht so.
Ein spannendes Feature von Luise Sammann im DLF dazu findet ihr hier.
Was kannst du im Job tun?
In vielen Unternehmen heißt es: „Wir wollen/müssen politisch neutral sein“. oder „Wählen ist Privatsache, wir wollen den Mitarbeitenden da nichts vorgeben.“
➡️ Zur politischen Neutralität möchte ich euch ein Zitat der Berliner Wasserbetriebe von Anfang 2024 an’s Herz legen (Quelle: LinkedIn):
Ich finde, das trifft es sehr gut:
Parteipolitisch neutral, aber politisch nicht gleichgültig.
➡️ Drei last-minute-Tipps für alle, die zur Bundestagswahl im Job noch etwas umsetzen möchten:
Die gute Nachricht: Niemand erwartet von Unternehmen eine Parteiempfehlung. Eine hilfreiche Info für den Hinterkopf: Eine politische Positionierung ist nicht gleichzusetzen mit einer parteipolitischen. Wie wäre es stattdessen mit einem Geht-zur-Wahl-Aufruf? Natürlich ist ein Wahlaufruf nicht für jedes Unternehmen die richtige Wahl. Aber auch so können Unternehmen ein Angebot zum demokratischen Diskurs schaffen - und das geht auch noch zwei Wochen vor der Wahl.
Wie ihr so einen Geht-zur-Wahlaufruf formulieren könnt, habe ich euch im Newsletter TextHacks von
am Beispiel der Europawahl einmal aufgeschrieben, ihr findet die Tipps hier.Ein Beispiel für einen konkreten (sehr persönlichen) Partei-Aufruf findet ihr beim Unternehmer und Modedesigner Adrian Talbot.
Eine Idee: Stellt für eure Mitarbeitenden eine Übersicht über alle Tools zu Wahlentscheidungshilfe zusammen (zum Beispiel via copy & paste aus diesem Newsletter;)). Ergänzend könnt ihr auch eine interne Umfrage starten und zu den Top-Themen weiterführende Informationen zusammenstellen. Eine gute Übersicht, was da möglich wäre findet ihr auch im Bundestagswahlhelfer des BDKOM.
Keine Sorge vor "zu viel Politik": Gerade Unternehmen sind in einer guten Position, um wirtschaftspolitische Zusammenhänge glaubwürdig zu erklären. Denn: Im Wahlkampf versuchen rechtsextreme Parteien mit wirtschaftlichen Doomsday-Aussagen zu mobilisieren. Hier können v.a. Unternehmen und Institutionen mit Fakten gegen Desinformation vorgehen.
Ein Beispiel: Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender von Evonik, der im Podcast Democracy @work sagt: “Ich werde keine Wahlempfehlung abgeben, aber ich werde schon erklären, was es bedeutet seine Stimme für die AfD abzugeben, nämlich, dass wir unsere Demokratie dadurch gefährden, nämlich auch dass wir die Arbeitsplätze, die wir haben, die Zukunftschancen die wir haben, damit gefährden, nämlich, dass wir das Miteinander, was es in dieser Gesellschaft gibt und was doch immer noch großartig und stark ist, ebenfalls auf Spiel setzen. Nationalismus und chauvinistische Parolen sorgen nicht für Wirtschaftswachstum, sie sorgen nicht für Wohlstand, sie sorgen nicht für ein gedeihliches Miteinander sondern dass alles zerstören sie und weil das so ist, muss man diesen Punkt immer wieder, immer wieder klar erklären und in die Öffentlichkeit stellen und das werde ich tun.”
Und wenn ihr Ideen für Unternehmen sucht aus diesem Wahlkampf: McDonalds startet zum Beispiel gerade den politischen Burger Dialog, mehr Infos zu Livestream & Co findet ihr hier.
🙋🏼♀️ Franzi als Politik- und Kommunikationsberaterin buchen:
Zum Beispiel für:
Strategien zur Positionierung und im Umgang mit gesellschaftspolitischen Themen: Ich entwickle politische Kommunikation für Führungskräfte in Unternehmen, Verbänden, NGOs.
Workshops & Formate: Kommunikation, Demokratie am Arbeitsplatz, KI, Social Media-Strategie und Rhetorik (z.B. Umgang mit Populismus).
Kommunikation & KI: Einsatz in politischer Kommunikation, gegen Desinformation, Hatespeech & die AfD.
Keynotes, Vorträge und Panels zu Kommunikation, Demokratie, Populismus oder KI.
Mehr zu mir findet ihr hier.
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📖 Mein Sachbuch “Anleitung zum Widerspruch” liefert klare Antworten auf Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien. Das Buch erklärt dir, was du sagen kannst, wenn du schlicht nicht weiter weißt und dich sprachlos fühlst. Zum Beispiel: Was sage ich bei rassistischen Sprüchen, wie reagiere ich auf Antisemitismus und kann ich lernen besser zu streiten (Spoiler: Ja!)?
Hi, super ausführlicher Beitrag, danke dir! 😊
Der Begriff "taktisch wählen" stößt bei mir allerdings immer sauer auf. Die Stimme des Einzelnen sollte die eigenen Überzeugungen und politischen Prioritäten widerspiegeln und eine Partei unterstützen, mit der man sich am meisten identifizieren kann. Und nicht, um als Mittel zum Zweck ein kleineres Übel zu wählen, damit das größere Übel nicht gewinnt. Langfristig sorgt das für den Ausschluss von kleineren Parteien und deren Meinungen und Themen und am Ende stehen wir wie in Amerika vor einem unbeweglichen und antidemokratischen Zwei-Parteien-System.
Außerdem könnte es die Politikverdrossenheit verstärken, wenn man Menschen erzählt sie sollen bitte den (zum Beispiel) stark konservativen Unionspolitiker mit der Erststimme wählen, weil er als einziger eine Chance hätte, ein AfD Direktmandat zu verhindern, obwohl sie sich mit beiden überhaupt nicht identifizieren können (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen).
Anyway, danke für die ausführliche Arbeit am Newsletter 😊
Die detaillierteste und umfassendste Darstellung der Möglichkeiten "taktisch" zu wählen, die ich bisher gelesen (3 an der Zahl) habe! Tolle Arbeit!!! Gleichwohl bleibt es eine verdammt schwierige Entscheidung, selbst wenn mein Ziel ist die "Arschlöcher für Deutschland" so klein wie möglich zu halten. Danke für deine Mühe!!!