Was die AfD-Kanzlerkandidatur wirklich bedeutet
3 Gründe, warum sich gerade dieser Schritt für die Partei lohnt - und was wir jetzt tun sollten.
Man könnte sagen: Es ist ein unverständlicher move. Die AfD stellt eine Kanzlerkandidatin auf, obwohl Alice Weidel auf keinen Fall Kanzlerin werden wird. Zumindest nicht bei dieser Bundestagswahl.
Denn: Keine Partei aus dem demokratischen Spektrum im Bundestag will mit der AfD koalieren, geschweige denn gemeinsam regieren. Es gibt schlicht keine Koalitionsoption, mit der die AfD ins Kanzleramt einziehen könnte. Und von einer absoluten Mehrheit ist die AfD mit Umfragewerten von aktuell 17 Prozent sehr weit entfernt.
Warum macht die AfD diesen move? Weil er sich für sie lohnt.
Wir müssen diesen Schritt als Warnsignal verstehen und ihm etwas entgegensetzen. Dieser Newsletter liefert euch 3 Gründe, wie der AfD diese Kandidatur nützt und 7 Dinge, die wir dringend im Blick behalten und angehen müssen.
1. Die AfD will die Frauen für sich gewinnen.
Eine Frau als Kanzlerkandidatin ist eine strategische Entscheidung: Wenn das Ziel der AfD maximale Reichweite im Wahlkampf ist, spielt dabei auch die Besetzung einer Frau in einem Wahlkampf, in dem sonst Männer als Kanzlerkandidaten zu Wort kommen, eine relevante Rolle.
Die AfD setzt in diesem Wahlkampf besonders auf Frauen: In einem internen Strategiepapier der AfD für den Wahlkampf, über das die WELT berichtete, heißt es: “Die AfD will mehr Frauen als Wähler gewinnen. Dazu wird sie noch stärker auf politische Vorlieben und Bedürfnisse von Frauen eingehen.“ (Quelle: Welt.de)
⁉️ Warum setzt ausgerechnet die AfD auf Frauen?
1️⃣ Die Zahlen ihrer Wähler:innen steigen.
Bei der Bundestagswahl 2021 lag der Gender-Voting-Gap bei der AfD bei 5,2%. Bei der Europawahl im Juni 2024 gaben bereits 12% der Wählerinnen in Deutschland der Partei ihre Stimme (männliche Wähler: 19 %) - 2019 waren es noch 8% (Männer: 14 %). (Quelle: sz.de)
Bei den Landtagswahlen gaben in Sachsen immerhin 26% der Frauen (35% der Männer) die AfD ihre Stimme, in Thüringen waren 27% (und 38% der Männer), in Brandenburg 24% (im Vergleich zu 35% männliche Wahlstimmen).
2️⃣ Frauen an der Spitze helfen bei Mobilisierung & Normalisierung.
Im Strategiepapier heißt es: “Für Frauen seien Sichtbarkeit und Wertschätzung besonders wichtig. „Bei der Inszenierung und Kommunikation unserer Kandidaten achten wir darauf, dass viele Frauen Politiker schätzen, die beliebt, sympathisch, selbstsicher, einfühlsam, emphatisch, fürsorglich, ehrlich und integer sind, die außerdem respektvoll mit anderen umgehen und sich kooperativ zeigen.“” (Quelle: Welt.de)
Die Taktik auf weibliche Politikerinnen an der Spitze zu setzen hat prominente Vorbilder: In Frankreich und Italien werden wichtige rechtspopulistische Parteien von Frauen wie Marine Le Pen und Giorgia Meloni geführt.
Dahinter steckt Strategie: „In Italien oder Frankreich, wo Politikerinnen wie Marine Le Pen mit voller Kraft an ihrer eigenen Entdämonisierung arbeiten, ist eine gewisse Normalisierung eingetreten“, sagt der Soziologe Andreas Hudde. So wird der Rassemblement National mittlerweile von Männern und Frauen gleichermaßen gewählt. (Quelle: Süddeutsche Zeitung)
Laut Rechtsextremismusforscher Matthias Quent von der Hochschule Magdeburg-Stendal sind prominente Frauen eine „Bedingung zur Massenmobilisierung“: „gerade für die männerlastige äußerste Rechte“ sei es „wichtig, diese prominent anzusprechen und zu repräsentieren – auch um sich vor dem Vorwurf des Sexismus zu schützen“. (Quelle: rnd.de)
Mehr dazu hier:
⁉️ Was tun?
Die AfD will laut des internen Strategiepapers “in der Ansprache auf negative Stereotypen und paternalistische Töne” verzichten und auf vorgeblich nahbare Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gewalt gegen Frauen, sowie Bildung und Gesundheit setzen. (Quelle: Welt.de) Eine weibliche Kanzlerkandidatin zu nominieren, ist ein Schritt in dieser Strategie.
Die Nominierung ist Taktik - und wir müssen kontern, indem wir:
Die Rolle von Frauen in der AfD ehrlich benennen:
Man könnte sagen: Die AfD setzt mit einer weiblichen Kandidatur auf eine Lücke im System. Sie hat nunmal die einzige Kanzlerkandidatin, egal wie unrealistisch eine Kanzlerin Alice Weidel ist.
Man muss dann aber auch sagen: Die AfD hat vielleicht eine Kanzlerkandidatin, diese steht aber an der Spitze einer fast komplett männlich dominierten Partei. Die AfD bildet mit 11,7% Frauenanteil das Schlusslicht der Parteien im Bundestag. Sie steht damit keineswegs für Fortschritt.
Die AfD da herausfordern, wo sie Frauen angeblich reinschreibt: In ihrem Wahlprogramm.
Zum Beispiel beim Thema Frauengesundheit: Die AfD will laut ihrem (noch nicht offiziell verabschiedeten) Wahlprogrammentwurf das Abtreibungsrecht drastisch weiter einschränken. Schwangerschaftsabbrüche sollen nur noch bei kriminologischer oder medizinischer Indikation erlaubt werden, also etwa nach einer Vergewaltigung oder wenn die Gesundheit der Mutter gefährdet ist. In der Beratung selbst sollten Ultraschallbilder des Kindes gezeigt werden. (Quelle: DLF)
Zusätzlich zur AfD das ganze Bild ehrlich in den Blick nehmen:
Rechtsextreme Parteien, die mit frauenfeindlichen Positionen und vorgeblich frauenfreundlichen moves nach mehr Macht streben, sind auch deshalb ein Problem, weil wir im Bundestag von Parität noch weit entfernt sind. Denn auch im jetzigen Bundestag sind Frauen mit knapp 35% Prozent in der Minderheit (von anderen Diversitätsmerkmalen ganz zu schweigen).
Die Aussicht, dass sich das im nächsten Bundestag ändert ist, wenn man sich die Parteien, die vorne liegen anschaut, eher gering. Denn auch die CDU liegt z.Bsp. bei nur knapp 26% Frauenanteil in der Unionsfraktion. Darüber sollten wir vor und nicht erst nach der Wahl sprechen - und zwar in den Medien, in Briefen an unsere Abgeordneten, in den Parteien. (Quelle. Statista, Handelsblatt)
Der Alltag von Politiker_innen wird durch die AfD im Bundestag erschwert: Schon 2021 verwiesen 222 weibliche Abgeordnete in einer Umfrage des Spiegel auf den Hass und verbale Drohungen, denen sie durch die AfD im Bundestag ausgesetzt seien.
2. Die AfD will einen Machtanspruch zementieren, den sie nicht hat.
Die AfD-Kanzlerkandidatur ist ein Symbolakt. Fakt ist: Alle Parteien haben eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen. Was die AfD mit dem Titel “Kanzlerkandidatin” vorhat: Den Anschein zu erwecken, eine Regierungsbeteiligung wäre möglich.
Die Partei beruft sich für diesen Regierungsanspruch darauf, dass sie in den aktuellen Umfragen vor der Kanzlerpartei SPD und den Grünen liegt. Und sind wir ehrlich: Da haben sie Recht, sie können dieses demoskopische Argument machen.
Was die AfD nicht hat und was wir alle für Diskussionen zu diesem Thema als Fakt parat haben müssen: Die Fähigkeit, eine Koalition zu bilden. Und genau die braucht man in einer parlamentarischen Demokratie.
⁉️ Was tun?
1. Diesen Fakt nicht vergessen und hochhalten:
Es geht in einer parlamentarischen Demokratie darum, Regierungs- und mehrheitsfähig zu sein. Entscheidend ist, wer die Mehrheit bei der Gesetzgebung im Parlament stellt, also mehr als die Hälfte der Abgeordneten hinter sich versammelt. Wenn mehrere Parteien sich zusammenschließen und eine Mehrheit abbilden, bildet das den Wähler_innenwillen ab. Und von einer absoluten Mehrheit ist die AfD aktuell weit entfernt.
In Deutschland haben Parteien das Recht, frei zu entscheiden, mit wem sie koalieren möchten. Eine Verweigerung der Zusammenarbeit mit der AfD ist Teil dieses demokratischen Prinzips.
2. Die Normalisierung der AfD-Positionen nicht (noch weiter) vorantreiben, ob als Partei oder in unseren Diskussionen.
Für die AfD gilt: Um mehrheitsfähig zu sein, muss sie Koalitionspartner finden. Die AfD hat keine Chance auf eine Kanzlerschaft, weil sie nicht koalitionsfähig ist. Sie ist nicht koalitionsfähig, weil sie radikal ist. Als Auswahl:
Gerade erst hat die bayerische AfD eine Resolution verabschiedet, die "Remigration im Millionenbereich" fordert, was auf massenhafte Abschiebungen abzielt.
Im Herbst wurden drei AfD-Mitglieder als mutmaßliche Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppe "Sächsische Separatisten" festgenommen (inzwischen aus der Partei ausgeschlossen).
In einem fraktionsübergreifenden Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren fordern immerhin 113 Abgeordnete ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD.
Trotzdem kann die AfD in diesem Wahlkampf auf eines setzen: Dass sich ihre Positionen normalisiert haben. Der Tagesspiegel zitiert dazu aus dem internen Strategiepapier der AfD: “Darin behauptet die Partei, dass politische Gegner in jüngster Zeit eine Reihe von Forderungen, die in der Vergangenheit als Alleinstellungsmerkmale der AfD galten, übernommen hätten. „Als AfD begrüßen wir die durch die ‚Normalisierung‘ unserer Forderungen wachsende Anschlussfähigkeit von etablierten politischen Kräften und Bewegungen an die AfD“.
Die Parteienforscherin Julia Reuschenbach sagt zu der Frage, was die Hauptfaktoren in der Normalisierung der AfD gewesen seien: “Wir konnten sehen, dass das Mobilisierungsthema Nr.1 der AfD, Migration, von den anderen Parteien stark hochgejazzt wurde. Dabei hat man häufig eine Tonalität und Sprache verwendet, die die der AfD normalisiert und damit demokratisiert hat. Wenn eben auch Vertreter der SPD oder der Union sagen, dass Leute Sozialtourismus betreiben, man endlich stärker abschieben müsse usw. - dann entsteht der Eindruck, dass diese Positionen der AfD doch wohl so schlimm nicht sein können. Ein Beispiel dafür war das Duell zwischen Mario Voigt und Björn Höcke bei WELT TV. Wenn Voigt sagt, dass in Thüringen deutsche Kinder keine KITA-Plätze bekommen, weil die “für Ausländer” reserviert würden, wird keiner mehr Positionen dieser Art in den Reihen der AfD als problematisch, rassistisch oder völkisch einordnen. (Quelle: Adé AfD-Interview)
Mehr dazu findet ihr hier:
3. Die AfD pokert mit der Kandidatur auf mediale Reichweite.
Mit einer Kanzlerkandidatin kann die Partei mehr Presse-Aufmerksamkeit auf sich ziehen - und damit eventuell mehr Anhänger_innen mobilisieren. Dazu kommt: Eine Kandidatur stärkt den Anspruch, an TV-Wahlrunden teilzunehmen, das treibt die Sichtbarkeit noch weiter nach oben.
Die AfD-Expertin und Journalistin Ann-Katrin Müller hat dieses Vorgehen bereits zu den Landtagswahlen vorhergesehen und eingeschätzt:
Wir dürfen “nicht auf ihre PR-Tricks reinfallen: Wenn die AfD einen Kanzlerkandidaten aufstellt, tut sie das nur, damit alle darüber reden und die Person Interviewplatz bekommt. Dabei gibt es aktuell überhaupt keine Konstellation, in der die AfD ins Kanzleramt einzieht, die große Mehrheit der Deutschen steht gegen die Antidemokraten.“ (Quelle: Adé AfD vom 2.9.2024)
⁉️ Was tun?
Als Presse demokratische Vorgehensweisen korrekt einordnen und AfD-Machtansprüche nicht als gegeben ansehen (siehe Ann-Katrins Aussage). Eins meiner liebsten Beispiele für eine klare journalistische Einordnung ist dieses ZDF-Interview mit Alice Weidel:
Die Jetzt-Kanzlerkandidatin Alice Weidel wird darin nach den Landtagswahlen interviewt und betont, dass der Wählerwille nicht gehört werde, wenn die AfD nicht an der Regierung beteiligt würde. Ihr Argument wird vom Interviewer hinterfragt und konstant eingeordnet, und zwar mit Hinweis darauf, dass es dafür in einer parlamentarischen Demokratie Mehrheiten braucht, und dass für diese Mehrheit auch ein Zugehen auf andere Parteien notwendig ist (z. Bsp. ab Minute 1:20).
In Debatten rund um AfD und Presseöffentlichkeit nicht vergessen: Dass die Partei die Pressefreiheit selbst einschränkt - und weiter eingrenzen will.
Die AfD setzt bei Parteitagen Sicherheitspersonal ein, um Journalist_innen zu überwachen und einzuschränken. Beim Parteitag der AfD Bayern wurden Journalisten zum Beispiel von Security-Mitarbeitenden begleitet, sogar beim Toilettengang. (Quelle: taz.de)
Die Partei versucht, Journalist_innen von ihren Veranstaltungen auszuschließen. So wurden Medien von Wahlparties ausgeschlossen. (Quelle: mdr.de )
Führende AfD-Politiker wie Björn Höcke drohen offen damit, im Falle einer Regierungsübernahme den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl kündigte an, den Rundfunk-Staatsvertrag zu kündigen. (Quelle wdr./Monitor )
Schickt mir eure Gedanken zur AfD-Kandidatur! Wenn euch dieser Newsletter geholfen habt, freue ich mich sehr, wenn ihr ihn weiterschickt und empfehlt.💗
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Vielen Dank, jetzt brauche ich nur den Link zum Best-Practice "ZDF-Interview mit Alice Weidel"!!:)
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