Hallo und herzlich Willkommen zur Oster-Spezialausgabe von Adé Afd,
für das lange Wochenende habe ich mir etwas Besonderes für euch überlegt: Eine Folge über den Umgang mit radikalen Aussagen und radikalisierten Menschen in unserem engsten Umfeld.
🆘 Denn vielleicht liegt einigen von euch die Vorstellung im Magen, in den kommenden Feiertagen auf genau das Familienmitglied zu treffen, das AfD-Zitate im Familienchat teilt - oder beim Sonntagsfrühstück immer mit denselben extremen Parolen ankommt.
➡️ Dafür habe ich Radikalisierungsexpertin Dana Buchzik gefragt, welche Kommunikationshacks sie für enge Familienangehörige und Freund_innen empfiehlt.
Danas Instagramkanal, auf dem sie regelmässig kluge Tipps verrät, kann ich nur empfehlen - ebenso ihr Buch “Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können.” Ihr findet sie hier.
Also legen wir los:
💬 Wie rede ich mit Familienangehörigen, die AfD-Parolen verbreiten?
🗣️ Die AfD-Wählerschaft verändert sich, die AfD selbst ist auf dem Weg zur Volkspartei - und das obwohl (oder gerade weil?) sie radikaler wird. Mehr dazu findet ihr in der letzten Adé AfD-Ausgabe:
🗣️ Umso wichtiger, dass wir die Diskussion zu ihren Aussagen nicht scheuen - und uns zutrauen, sie zu führen.
🗣️ Klar ist: Es ist schwer auszuhalten, wenn ein geliebter Mensch die eigenen Werte nicht teilt - oder Werte verbreitet, die unsere roten Linien komplett überschreiten. Wahrscheinlich haben einige von euch schon viele gescheiterte Diskussionsversuche hinter sich und oft keine Kraft mehr für noch mehr Streit.
🗣️ Die gute Nachricht: Es gibt wirksame Kommunikationshacks für den Umgang mit Menschen, die radikale Aussagen tätigen (und glauben) – und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ihr sie noch nicht ausprobiert habt.
Ich übergebe an Dana Buchzik:
🛑 Steh für deine Grenzen ein.
Bei Angehörigen und engen Freunden wissen wir meist sehr gut, welche Worte oder Sätze uns aus der Fassung bringen. Das hilft sowohl bei der Vorbereitung als auch in der konkreten Situation: Erkennst du diese Sätze (und deine automatische emotionale Reaktion), kannst du dieses Mal entscheiden, anders zu handeln.
Lege vor der nächsten Begegnung deine emotionale “Hausordnung” fest. Sprich diese Hausordnung in einem ruhigen Moment an und lade dein Gegenüber ein, ebenfalls eine Hausordnung zu erstellen und sie gemeinsam zu besprechen.
Mögliche Impulse für deine persönliche Hausordnung: Was kannst und willst du im Gespräch aushalten und wo ist deine rote Linie? Welche Konsequenz folgt aus einer Grenzüberschreitung? Wirst du z.B. das Gespräch unterbrechen und einen Spaziergang machen? Ab wie vielen Grenzüberschreitungen wirst du nach Hause fahren, weil du weißt, dass der Streit sonst eskalieren könnte?
Wichtig: Diese Grenzen sollten immer und für alle Menschen in deinem Umfeld gelten. Kommuniziere eine Konsequenz nur, wenn du dir zutraust, sie wirklich konsequent umzusetzen.
Lege dir Sätze zur Schnellabgrenzung bereit: “Ich werde dich nicht überzeugen und du wirst mich nicht überzeugen.” / “Du überschreitest gerade meine Grenze. Ich brauche jetzt einen Themenwechsel.”
Wenn du von deinem Gegenüber erwartest, dass er dir beim “Faktenbingo” zuhört – bist du genauso bereit, ihm zuzuhören? Falls ja: Einigt euch auf feste Zeitfenster, z. B. 30 Minuten pro Tag/Woche/Monat, in dem jeder teilen darf, was ihm wichtig ist, und dabei nicht unterbrochen wird (außer, er überschreitet dabei vorab besprochene Grenzen). In der restlichen Zeit sprecht ihr bewusst über andere Themen. Falls du aber nicht zum Zuhören bereit bist, kannst du es auch von deinem Gegenüber nicht erwarten.
🤝🏻 Bilde Banden!
Schließ dich mit anderen Angehörigen oder Freunden zusammen. Das hat zwei Vorteile. Erstens: Je mehr Menschen an Bord sind, desto weniger Last trägt der Einzelne. Zweitens: Wer sich radikalisiert, erzählt sich eine Heldengeschichte und glaubt, dass er die Welt für immer verändern wird. Wie diese Geschichte konkret aussieht, hängt von der Persönlichkeit und von akuten Bedürfnissen ab. Gemeinsam könnt ihr schneller einschätzen, worum es bei der Radikalisierung wirklich geht:
Was ist der Person wichtig?
Welche Ziele hatte sie vor der Radikalisierung? Was hat sie glücklich gemacht?
Welches emotionale Bedürfnis könnte die radikale Ideologie bedienen? Geht es z. B. um sozialen Rückhalt? Um die Hoffnung, Schulden oder eine schwere Krankheit hinter sich lassen zu können? Um Lebenssinn? Um den Wunsch nach Status und Anerkennung?
Wie ließe sich dieses Bedürfnis auf demokratischem Boden stillen? Welche konkreten Angebote könnt und wollt ihr machen?
🎯 Setz dir kleine Ziele.
Wäre Radikalisierung ein Problem, das sich mal eben am Kaffeetisch oder via WhatsApp lösen ließe, wäre unsere Welt eine andere. Eine erfolgreiche Intervention aber braucht Zeit. Kleine Ziele helfen beim Dranbleiben, denn sie sorgen für schnelle Erfolgserlebnisse.
Hol euch dort ab, wo ihr gerade steht! Sind z. B. all eure Gespräche in letzter Zeit im Streit geendet? Dann könnte das erste kleine Ziel sein, 30 Minuten ohne Streit zu schaffen.
Lade dein Gegenüber ein, neue Kommunikationsregeln aufzustellen: “Mir ist aufgefallen, dass wir beim Thema X oft streiten. Ich möchte mit dir einen Weg finden, mit dem es uns beiden im Gespräch gut geht. Was brauchst du, um dich mit mir ruhig und sicher zu fühlen?”
Diese Frage ist kontraintuitiv, weil Radikale oft aggressiv kommunizieren. Das liegt am Missionierungsdruck: Eine Heldengeschichte funktioniert nicht ohne Beweise, dass man tatsächlich die Welt verändert – oder wenigstens ein paar “Schlafschafe” überzeugt. Außerdem bedeutet Radikalisierung, um es mit Radikalisierungsforscher Daniel Köhler zu sagen, Ent-Pluralisierung: Die Ideologie und das “heilige Ziel” fressen mit der Zeit alle persönlichen Wünsche und Bedürfnisse auf. Du tust deinem Gegenüber also einen Gefallen, wenn du ihn daran erinnerst, dass er ein Recht auf Grenzen hat – genauso wie du.
Es kann sein, dass dein Gegenüber deine Frage nutzen will, um zu missionieren. “Du sollst die Wahrheit erkennen” ist aber kein Bedürfnis. Frag nach, um welches Bedürfnis es wirklich geht, und reagiere nur auf darauf, nicht auf die Ideologie: “Danke, dass ich dir wichtig bin. Danke, dass du dir Sorgen um mich machst. Danke, dass du mit mir etwas teilen willst, das dein Leben verändert hat.”
❤️ Liebe ist dein Joker. Spar dir das Faktenbingo.
Wenn du einem Raucher erklärst, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist – wird er sofort seine Zigaretten wegschmeißen und dir mit Tränen in den Augen für die wichtige Info danken? Rauchen ist keine faktenbasierte Entscheidung, sondern hat auch eine emotionale Funktion. Das Gleiche gilt für Radikalisierung. Gegen gefühlte Wahrheiten können wir nicht mit Fakten gewinnen.
Eine aktuelle Doku über AfD-Aussteiger fasst es gut zusammen: “Gegen Argumente sind die Menschen irgendwann immun. Aber nicht gegen die Gefühle.” Radikale Anführer versuchen immer, ihre Anhänger zu isolieren, weil Familie und Freunde ihre gefährlichste Konkurrenz sind: Ein Ausstieg fällt leichter, wenn es einen sicheren Ort gibt, an den man zurückkehren kann.
Die Deradikalisierungsforschung zeigt, dass der Rückhalt des direkten Umfelds dabei helfen kann, Sekten, Gangs und sogar terroristische Vereinigungen zu verlassen. Deswegen arbeiten Ausstiegsprojekte wie Women without Borders oder Mothers for Life mit Angehörigen, vor allem mit Müttern radikalisierter Personen: Familie und Freunde sind die Tür zurück in die Welt.
Mehr Tipps für’s miteinander reden und bessere Gespräche findet ihr übrigens auch in diesen Adé AfD- Folgen:
Vor den Feiertagen habe ich noch eine Frage an euch: Welche Themen interessieren Euch für die nächsten Folgen am meisten?
Das war’s für heute - ich wünsche Euch friedliche Feiertage ohne Streit, dafür mit guten Diskussionen.
Franzi
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🙋🏼♀️ Wer bin ich?
Mein Name ist Franzi von Kempis, ich bin Journalistin, Autorin und Kommunikationsberaterin. Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Frage, wie wir uns privat und am Arbeitsplatz für Demokratie und bessere Diskussionen einsetzen können. Ihr könnt mich als Speakerin, Coach oder Beraterin buchen für:
Themen wie Rechtsextremismus, Umgang mit Populismus und Hass (off- und online), Positionierung/Haltung oder Demokratie am Arbeitsplatz
Schulung für Führungskräfte zur Haltungsfindung und Positionierung, Formate zu Debatten, Dialog und/oder Demokratie am Arbeitsplatz.
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📖 Mein Sachbuch “Anleitung zum Widerspruch” erschien 2019 und liefert klare Antworten auf Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien. Das Buch erklärt dir, was du sagen kannst, wenn du schlicht nicht weiter weißt und dich sprachlos fühlst. Zum Beispiel: Was sage ich bei islamfeindlichen Sprüchen, wenn jemand etwas von einer jüdischen Weltverschwörung oder der Klimawandel-Lüge erzählt?